Ostermarsch-Rede von Senta Pineau, Arbeitskreis Zivilklausel Köln

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, liebe Friedensfreunde,
vor 70 Jahren gelang die Befreiung der Menschheit von den Gräueln
des faschistischen Nazi-Regimes. Das mutige Engagement von
Antifaschistinnen und Antifaschisten in allen Ländern und die
letztendliche Zusammenarbeit der Anti-Hitler-Koalition der Alliierten
hat die faschistische Diktatur bezwungen. Die Schlussfolgerungen und
Hoffnungen dieser Zeit – die Überwindung von Ausbeutung, Gewalt
und Not zugunsten von Völkerverständigung, Frieden und der
globalen Verwirklichung der Menschenwürde – haben ungebrochene
Aktualität. 70 Jahre danach stehen wir vor der Herausforderung und
Aufgabe, diese Befreiung zu vollenden. Dabei können wir aus den
historischen Kämpfen für Frieden und Emanzipation lernen und
darauf aufbauen.
Der ehemalige Präsident der Universität Hamburg – Peter Fischer-
Appelt – sagte am 29. Januar 2015 im Audimax der Uni Hamburg
anlässlich einer Veranstaltung zum Gedenken an die studentische
Widerstandsgruppe die „Weiße Rose“, Zitat:
„Immer, wenn wir an dieser Gedenktafel für die Studenten der Weißen
Rose stehen, werden die Schatten länger, die uns mit ihrer Zeit
verbinden. Um im Bild zu bleiben: Das Licht ihres entschlossenen
Widerstandes leuchtet heller und heller hinter den in unserer fernen
Wahrnehmung wachsenden Bergen von verblendeter Gefolgschaft und
gezielter Untat, von namenlosem Leid und unvorstellbarem Tod, von
ungesühnter Schuld und bleibender Scham. (…)Welches publizistische
Widerstandsfanal fand im „Dritten Reich“, ja vielleicht im ganzen 20.
Jahrhundert eine größere aktuelle Verbreitung als die landauf, landab
in Briefkästen gesteckten, überall abgelegten und dann millionenfach
von britischen Flugzeugen abgeworfenen Flugblätter der Weißen
Rose? Waren das nicht überzeugende Zeichen von gewaltloser
Freiheit, von solidarischer Partizipation und durchgesetzter
Öffentlichkeit, die heute als Signum der Demokratie gelten? Zeichen,
die gegenseitiges Vertrauen, so lebenswichtig, zwischen diesen
Kreisen von jugendlichen Regimegegnern und ihren Familien
stifteten, Zeichen, die bei aller Differenzierung eine Weiße Rose in Tat
und Tod erkennen lassen?“Ein solcher kämpferischer Humanismus ist die Quelle des
antifaschistischen Widerstandes. Er verband Kommunisten,
Sozialisten, Christen und bürgerliche Humanisten in ihrem
Engagement für Frieden und Solidarität gegen jene Kräfte, die die
soziale Ungleichheit – also die Ausbeutung des Menschen durch den
Menschen – bis ins Grausamste verteidigten, systematisierten und
steigerten.
Das Wirken aller Antifaschisten ist heute noch eine Ermutigung, die
wir beherzigen sollten, denn hier wird deutlich: Allerorts – selbst in
den Vernichtungslagern – hat es Widerstand gegeben. Weil der
Mensch ein Mensch ist, ist die Aufrichtung für Menschenwürde und
Solidarität immer eine Alternative. Unter den
menschenverachtendsten Bedingungen war das Vertrauen in und das
Wirken für eine neue, bessere Gesellschaft, in der der Mensch dem
Menschen kein Feind ist, sondern ein Freund, wesentliche
Voraussetzung für den Mut der Antifaschisten.
Ich erinnere mich an die Worte von Peter Gingold, jüdischer
Kommunist und deutscher Widerstandskämpfer in der französischen
Résistance und bis zu seinem Tod 2006 lebenslanger Friedensaktivist.
Zu seinem 90. Geburtstag sagte er: »Nie resignieren, und wenn welche
resignieren, dann macht ihnen Mut!« Sein Optimismus war begründet
und deswegen ansteckend, er sagte häufig:
„Als ich auf die Welt kam, war ich Untertan von Kaiser Wilhelm. Man
glaubte, es würde ewig so sein. Nach zwei Jahren war das Kaiserreich
verschwunden. Dann war die Republik da. Sie dauerte auch nur 14
Jahre. Dann kam das sogenannte 1000jährige Reich. Es dauerte nicht
1000 Jahre und ein klein bisschen haben wir dazu beigetragen, dass
es nicht 1000 Jahre blieb. Dann glaubten wir wirklich ein Drittel der
Erde geht unabänderlich dem Sozialismus entgegen. 1989 war er
erstmal nieder. Da sagte ich zu meinen Freunden und Genossen, steht
nicht wie ein Jammerlappen auf dieser Erde, analysiert, wie das
geschehen konnte.“Aus dieser Haltung, aus dieser politischen Klarheit und aus diesem
Hunger nach Menschlichkeit können und müssen wir als
Friedenskräfte heute lernen.
Programmatisch können wir anschließen an das Potsdamer
Abkommen der Alliierten aus dem Jahr 45 und seine 4 Ds, die die
Einheit von „Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus“ ermöglichen
sollten.
1-Denazifizierung:
Kultur, Presse, Ökonomie, Justiz und Politik – also das gesamte
öffentliche Leben – sollten denazifiziert werden.
2- Demonopolisierung:
Sowohl die Verwaltung als auch die Wirtschaft sollten dezentralisiert
und demonopolisiert werden, um jegliche ökonomische
Machtkonzentration, die wesentlich für den Aufstieg des Faschismus
und die Vorbereitung des Weltkrieges war, zu zerschlagen. Im
Abkommen heißt es: „In praktisch kürzester Frist ist das deutsche
Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der
bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft,
dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere
Monopolvereinigungen.“
3- Demilitarisierung:
Sie hatte den vollständigen Abbau der Armee und die Abschaffung
jeglicher deutscher Rüstungsindustrie zum Ziel, damit von
Deutschland nie wieder die Gefahr eines militärischen Angriffs
ausgehen konnte. Beim Wirtschaftsleben sollte das Hauptgewicht auf
die Friedensindustrie gelegt werden.
4- Demokratisierung!
Alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – von der Bildung bis zur
Politik – sollten demokratisiert werden. Zitat: „Das Erziehungswesen
in Deutschland muß so überwacht werden, daß die nazistischen und
militaristischen Lehren völlig entfernt werden und eine erfolgreiche
Entwicklung der demokratischen Ideen möglich gemacht wird.“In diesem Sinne ist die Geschichte lehrreich und orientierend für das
heutige Handeln aller Friedenskräfte und treibt uns auch heute an.
Heute haben die Kriegsprofiteure der Rüstungsindustrie und die
Kriegstreiber in der Regierung massiv damit zu kämpfen, dass die
Bevölkerung, dieser Lümmel, die Lügen nicht überzeugend findet, mit
denen die Kriegspolitik legitimiert werden soll: Rüstung und Krieg
haben mit Humanität und Verantwortung nichts zu tun, sondern mit
wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen, da mag unser
Bundespastor predigen, wie er will.
Das aktuelle „Bündnis der Eliten“ versucht daher umso mehr, die
Köpfe dort für seine Kriegspropaganda zu gewinnen, wo sie gebildet
werden: in Schulen und Hochschulen. Zu Beginn der Krise 2008
haben sich daher 100 Vertreter aus Wirtschaft, Bundeswehr und
Politik als „Celler Trialog“ getroffen und beraten, was unternommen
werden muss, um die Zustimmung zur Kriegspolitik wiederherstellen.
Zitat:
„Wir brauchen eine intensivere sicherheitspolitische Debatte in
Deutschland, um die Bedeutung von Sicherheit für die Zukunft unseres
Landes und das Verständnis für die Auslandseinsätze der Bundeswehr
verbreitern zu können. (…) Darüber hinaus wollen wir aktiv darauf
hinwirken, dass der sicherheitspolitische Dialog auch in Forschung
und Lehre, insbesondere an unseren Hochschulen, gestärkt wird, z.B.
durch die Einrichtung von Stiftungsprofessuren und durch einen
dauerhaften, praxisorientierten und wissenschaftlichen Austausch
zwischen Wirtschaft und Bundeswehr.“
Aber auch das geht nach hinten los: Seit 2008 gibt es mittlerweile
bundesweit an Hochschulen Initiativen von Studierenden und
MitarbeiterInnen, die gegen die Kriegspolitik aufklären und dafür
wirken, dass die gemeinsame Arbeit zu Frieden, einer zivilen
Entwicklung der Gesellschaft und zur Verbesserung der
Lebensbedingungen beiträgt. Mit der Einführung von „Zivilklauseln“
sollen sich Hochschulen selbst dazu verpflichten. Mittlerweile gibt es
bundesweit 26 Zivilklauseln an wissenschaftlichen Einrichtungen –und in den Landeshochschulgesetzen von Nordrhein-Westfalen und
Bremen konnte die Zivilklausel ebenso erkämpft werden.
Vor zwei Wochen haben sich die Universitäten Köln und Düsseldorf
in ihren Grundordnungen dazu verpflichtet, zu Frieden, Demokratie
und Nachhaltigkeit in der Welt beizutragen. An der Uni Düsseldorf
heißt es zum Beispiel:
„Forschung, Lehre und Studium an der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf sind friedlichen Zielen verpflichtet, sie tragen zur
Völkerverständigung bei und erfolgen in der Verantwortung für eine
nachhaltige Entwicklung der natürlichen und sozialen
Lebensgrundlagen.“
Diese Art der Verantwortung ist ein direktes Kontra zur
Verantwortung von Kriegspräsident Gauck, in aller Welt militärisch
einzugreifen. Entscheidend ist, dass sich überall erweiterte
Friedensambitionen zu eigen gemacht werden, das hat Sprengkraft.
Denn das humanistische Engagement und die Aufklärung für eine
Welt des Friedens und der Solidarität bringen jetzt schon das
organisierte Töten und das Geschäft mit dem Krieg in Bedrängnis.
Indem neu an Hochschulen begonnen wird, zu diskutieren, was
Kriegsursachen sind und welche Voraussetzungen für Frieden
geschaffen werden müssen, treten Hochschulmitglieder aus der Enge
der verordneten „Vermarkte-dich“-Ideologie und entsprechender
Bescheidenheit heraus. Nicht mehr die Friedensfreunde, sondern die
Rüstungsforscher müssen sich rechtfertigen. Das bekommt die
Rüstungsindustrie jetzt schon zu spüren: Sie beklagte sich auf einer
Konferenz zu „Angewandter Forschung für Verteidigung und
Sicherheit“ Anfang 2014, dass sich leider ihre Bedingungen durch die
Ausgrenzung militärischer Forschung aufgrund von Erfolgen der
Zivilklauselbewegung an manchen Hochschulen verschlechtert haben.
Thomas Weise von Rheinmetall Defence erklärte, man möchte aber
weiter mit Sicherheitsforschern an den Hochschulen bei – Zitat –
„Anzucht, Aufzucht und Genuß“ neuer Waffensysteme
zusammenarbeiten.Die Alternative zu einer derartigen Dumpfheit und Garstigkeit sind
wir selbst! Gegen Rüstungsexporte, Rüstungsproduktion und
Kriegseinsätze. Für Abrüstung, Rüstungskonversion und eine
Wissenschaft für den Frieden, für zivile Konfliktregulierung und
aufgeklärtes solidarisches Denken und Handeln. Wir müssen und
können die Geschichte gemeinsam in die Hände nehmen!
Nichts anderes ist menschlich und Genuss.

4.       April       2015
Senta       Pineau,       Arbeitskreis       Zivilklausel       Köln

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