Rede von Ariane Dettloff am Hiroshima-Gedenktag am 6. August in Köln

„Atomwaffen sind inakzeptabel. …Wenn man sie nicht los wird, werden sie
früher oder später auch eingesetzt.“

Das sagt Michail Gorbatschow zum heutigen 70. Jahrestag des
Atombombenabwurfs auf Hiroshima – nachzulesen im aktuellen Spiegel-Heft
„Geschichte“ – „Das Zeitalter der nuklearen Bedrohung“. Vollkommen
inakzeptabel, das finden auch die Aktivistinnen und Aktivisten der
Kampagne „Büchel 65“, mehr als 450 Menschen, die sich von März bis Mai
2015 an Blockaden des deutschen Atomwaffenstützpunkts Büchel in der
Eifel beteiligt haben. An 65 Tagen sollten möglichst viele Blockaden
stattfinden. Ich habe dabei mitgemacht. Mit der Gruppe „DFG/VK Köln und
Friends“ haben wir am 9. April den Fliegerhorst des
Luftwaffengeschwaders 33 der Bundeswehr rund 100 km südwestlich von Köln
in der Nähe von Cochem an der Mosel blockiert.

Acht Menschen brachen kurz nach fünf Uhr morgens im Dunkeln unter einem
glänzenden Halbmond auf, um den Normalbetrieb von Tornado-Piloten der
Bundeswehr und den US-amerikanischen Bombenhütern zu behindern. 20
Atombomben des Typs B-61 lagern hier, so wird vermutet. Ihre genaue Zahl
hält die Nato streng geheim. Eine einzige dieser Bomben besitzt
jedenfalls die 13fache Sprengkraft der Bombe von Hiroshima 1945 – die
Amerikaner hatten sie liebevoll „little Boy“ genannt, „kleiner Junge“.
Damals starben allein von August bis Dezember 140 000 Menschen. Die
Überlebenden litten an furchtbaren Krankheiten durch die radioaktive
Verstrahlung, manche leiden noch bis heute, zum Beispiel auch der
unermüdliche Anti-Atom-Streiter Kazuo Soda, der so oft am
Hiroshima-Gedenktag hier in Köln als Hibakusha zu uns gesprochen hat –
Hibakusha, so heißen in Japan die Überlebenden der Atombomben auf
Hiroshima und Nagasaki.

Weltweit sind heute 16 000 Atomsprengköpfe stationiert, genug, um die
Menschheit und unseren Planeten mehrfach zu vernichten. Und die
Atombomben in Büchel werden sagar modernisiert statt abgezogen, wie es
sogar der Bundestag 2010 verlangt hat. Sie sollen lenkbar werden statt
einfach nur zu fallen. So können sie dann laut US-Strategen besser und
präziser eingesetzt werden.

Es ist ja immer noch so: die Nato-Strategie sieht den Ersteinsatz von
Atomwaffen vor, um einem vermuteten Angriff des Gegners zuvorzukommen.
Dabei sind wir in der Vergangenheit schon mehrfach knapp an einem
versehentlich ausgelösten Atomkrieg vorbeigeschlittert.. Angesichts der
Krise um die Ukraine ist die Gefahr, dass Atomwaffen tatsächlich
eingesetzt werden könnten, enorm gestiegen. Wladimir Putin hat
angekündigt, 40 interkontinentale Atomraketen neu zu stationieren. Und
die USA wollen ihr gesamtes Atomwaffenarsenal modernisieren. Derzeit
trainieren sie den Bombenabwurf bei Nato-Manövern in Polen .
Ein Atombomben-Standort wie Büchel hier in der Eifel bildet natürlich
ein potentielles Angriffsziel für jeden bedrohten Staat – und für
durchgeknallte Terroristen.

Aber in Köln ist diese Gefahr bis heute kaum bekannt. Ich habe im
Vorfeld unserer Aktion Zivilen Ungehorsams mit vielen Menschen darüber
gesprochen. Die meisten waren völlig erstaunt. Kein allzu großes Wunder,
denn die Massenmedien halten sich bedeckt. Schließlich gibt es ja aus
Büchel kaum Neuigkeiten zu berichten. Der Aktion „Büchel65“ ist es aber
doch gelungen, das Thema wieder in Presse, Funk und Fernsehen zu
bringen, wenn auch nicht in dem Maß wie erhofft. Vor allem regionale
Medien haben reagiert.

Unsere kleine Blockadegruppe, die auf die in Büchel bei Cochem lauernde
Gefahr aufmerksam machen wollte, war gut vorbereitet. Der Kinderarzt und
Anti-Atom-Aktivist Ernst Ludwig Iskenius hatte uns am Vorabend über die
Verhältnisse vor Ort, über die Taktik der Polizei und über die
juristischen Rahmenbedingungen informiert.
So wussten wir, dass laut Bundesverfassungsgericht eine Blockade nicht
ohne weiteres als Nötigung und damit als Straftat gilt. Sondern sie ist,
wie in unserem Fall, als Sonderform einer öffentlichen Versammlung
anzusehen, die der Meinungsbildung dient. Die Polizei sieht allerdings
den ungehinderten Betrieb der Tötungsmaschinerie im Fliegerhorst als
höheres Rechtsgut.

Um unsere Chancen zu erhöhen, überhaupt das Haupttor des Fliegerhorsts
zu erreichen, hatten wir uns in zwei Gruppen aufgeteilt. Wir saßen kaum
zehn Minuten auf der Zufahrtsstraße, als die Polizei uns auffordert, die
Straße zu räumen. Immerhin hat der morgendliche Verkehr sich schon vor
uns gestaut. Angeblich bilden wir, so der diensthabende Beamte – Zitat –
„eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Wir wenden
ein: „Die Atombomben offenbar nicht!“ Der Einsatzleiter löst unsere
beiden Sitzblockaden kurzerhand auf, er lässt die Personalien der
„TäterInnen“ – in Anführungszeichen – feststellen. Er lässt
Platzverweise erteilen und hartnäckig Zivilen Ungehorsam Leistende von
der Straße räumen. Bisher haben wir aber noch keinerlei Anhörungsbögen
oder richterliche Post erhalten. So weit bekannt, sind bis heute erst
zwei Bescheide wegen Polizeieinsatzkosten bei Teilnehmenden der
Blockaden im Rahmen von „Büchel 65“ eingegangen. Dagegen wurde
Widerspruch eingelegt. Die Betroffenen werden weiter juristisch beraten
und unterstützt.

Unsere Gruppe „DFG/VK und Friends“ hat dann noch bis zwölf Uhr mittags
auf dem Verkehrskreisel vor dem Haupttor zum Atomwaffendepot unsere
Transparente hochgehalten. „Atomwaffenfrei jetzt“ stand darauf, „Unsere
Zukunft atomwaffenfrei“ und „Atombomben raus!“ Mit durchweg unbewegten
Minen fuhren die Soldaten und das Zivilpersonal des
Atomwaffenstützpunkts daran vorbei. Der eine und die andere winkten uns
aber auch freundlich zu. Es gibt dort auch zivilen Durchgangsverkehr, so
dass unsere Botschaft nicht nur Bundeswehr-Personal erreicht hat. Das
Traurige ist allerdings: In der strukturschwachen Gegend rund um den
Fliegerhorst spricht sich kaum jemand aus der Bevölkerung dagegen aus.
Wegen der Arbeitsplätze …  Insgesamt 20 Tornado-Flugzeuge, mit denen
Bundeswehrpiloten hier den Atomkrieg üben, donnerten während unserer
Aktion über unsere Köpfe hinweg. Ein grausames Getöse!
Wir waren nicht die einzige Kölner Gruppe, die sich an „Büchel65“
beteiligt hat. Auch Vertreter_innen von fünf selbstverwalteten Betrieben
hatten einen Blockadetermin übernommen, als Betriebsausflug der
besonderen Art: Die Stadtrevue hatte aufgerufen, die Sozialistische
Selbsthilfe Mülheim SSM, das Café Fatsch aus Kalk, das Baukollektiv und
Via, eine Verkehrsplanungsgenossenschaft mit dem Schwerpunkt Fahrradwege.

Die während der „Büchel65“-Blockaden praktizierte Polizei-Taktik der
Deeskalation ist nicht ungeschickt: Auf diese Weise bleibt nämlich die
Medienaufmerksamkeit begrenzt. Der Skandal, dass in Büchel deutsche
Soldaten jeden Werktag den Atombombenabwurf üben, bleibt weithin unbekannt.

„Büchel 65“ dauerte vom 26. März , dem Tag, an dem vor fünf Jahren der
Bundestag den Abzug der Atomwaffen aus Büchel gefordert hat, bis zum 29.
Mai 2015. Das war der Tag, an dem die Überprüfungskonferenz zum
Atomwaffensperrvertrag in New York zu Ende ging. Wie vorauszusehen
leider ohne Ergebnis. Vor allem weigern sich die fünf
Haupt-Atomwaffenstaaten weiterhin, ihre Vertragspflicht zu erfüllen und
ihr Atomwaffenarsenal abzubauen.  …

35 Gruppen haben sich an der Aktion „büchel65“ beteiligt. Sie kamen
unter anderem auch aus Berlin, aus Bremen, Hamburg und Kiel, aus Mainz,
Mutlangen, Nottuln im Münsterland und aus Rostock, aus Saarbrücken und
aus Stuttgart. Sie musizierten, sangen und lasen Texte vor. Ein
Freundeskreis hatte eine Geburtstagsfeier blockierend vor dem Haupttor
zum Atomwaffendepot gestaltet. Ein Gottesdienst wurde auf der Zufahrt
abgehalten. AktivistInnen des Jugendnetzwerks für politische Aktionen
„Junepa“ versperrte mit hohen Dreibeinen – sogenannten Tripods – die
Zufahrt. Mitglieder von „IPPNW – Internationale Ärzte für die Verhütung
des Atomkriegs, Ärzte in sozialer Verantwortung“ beteiligten sich teils
in Berufskleidung. Der Versöhnungsbund unterbrach seine Jahrestagung für
eine Blockadeaktion, bei der das gesamte Gelände über zwei Stunden
völlig verschlossen war. Eine Gruppe der „Lebenslaute“ gab ein
Blockadekonzert, und eine französische Theatergruppe bot eine eigene
Performance. Den Höhepunkt und Abschluss von „Büchel65“ bildete
schließlich die „Zahnbürstenblockade“. Dazu hatten 40 von insgesamt 70
Blockierenden demonstrativ ihre Zahnbürste mitgebracht als Zeichen: „Ich
bin bereit, mich dem Atomwaffenbetrieb in Büchel so lange zu
widersetzen, bis sie mich „in Gewahrsam“ nehmen“. In „Gewahrsam“ der
Polizei, wie es so nett heißt. Der kann nämlich bis zum Folgetag dauern.
Aber nach sechs Stunden im Gefangenenbus kamen schließlich auch die
letzten AktivistInnen von „Büchel65“ wieder frei.

In der Bilanz des Trägerkreises von Büchel65 heißt es:
„Die Atomwaffen lagern noch in Büchel. Auch eine weltweite Ächtung ist
noch nicht erreicht. Aber wenn sich immer wieder Menschen dem Wahnsinn
in den Weg setzen, wird es uns irgendwann gelingen, ohne Atomwaffen zu
leben.“

Weitere Information zu den 65-Tage Büchel-Blockaden:

http://www.buechel-atomwaffenfrei.de/buechel65/

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