Thomas Carl Schwoerer: Pazifismus ist realistischer als „Realpolitik“!

Zur 125-Jahr-Feier der Deutschen Friedensgesellschaft, die am 24. November 2017 in Köln stattfand, forderte Thomas Carl Schwoerer, einer der Bundessprecher der DFG-VK, ein sofortiges Ende des gescheiterten Kriegs gegen den Terror. Friedenspolitik und politischer Pazifismus seien weitaus realistischer als die sogenannte „Realpolitik“. Hier der vollständige Text seiner Rede:


Liebe Freundinnen und Freunde,

in Kürze entscheidet der Bundestag über die Verlängerung der drei schädlichsten Auslandseinsätze der Bundeswehr: in Mali, Afghanistan, sowie Syrien und Irak. Lasst uns bitte von hier aus die Bundestagsabgeordneten auffordern, gegen diese Verlängerungen zu stimmen und endlich Verhandlungen für Waffenstillstände und politische Lösungen nach den Vorbildern Kolumbiens und Nordirlands einzuleiten, damit nicht weitere Tausende von Menschenleben geopfert werden. Nur Verhandlungen schützen uns vor dem Terror. Der seit 17 Jahren geführte und gescheiterte Krieg gegen den Terror zeigt, dass es keine Alternativen zu Verhandlungen auch mit den Dschihadisten in den jeweiligen Ländern gibt. Die stattdessen angewendete Doktrin von Härte und Gnadenlosigkeit etwa durch Bombardements führt nur zu neuen Rekruten für den Terrorismus und zu Anschlägen auch in Europa.

Carl Friedrich von Weizsäcker hat diese Gewaltspirale so beschrieben: „Man kann zwar Gewalt durch Gewalt eindämmen, man wird aber immer die Folgen zu tragen haben, dass man sich dem Prinzip, das man bekämpfte, unterworfen hat…Die Meinung…, man könne gewissermaßen zum letzten Mal Gewalt anwenden und – weil die Gewalt für das Gute ausgeübt wird – danach werde dann das Gute herrschen und nicht die Gewalt, ist einer der gefährlichsten Irrtümer und eine der Hauptquellen mörderischer Kriege.“

Thomas Carl Schwoerer am 24.11.2017 in der Lutherkirche Südstadt, Köln. Foto: Jochen Vogler (r-mediabase.eu).

Um den virulentesten Bundeswehreinsatz herauszugreifen: Die Bundesregierung hat 875 Soldaten nach Mali entsendet; bis zu 200 weitere sollen folgen. Die dortige UN-Mission zur Sicherung eines Waffenstillstands gilt weltweit als gefährlichste »Peacekeeping«-Operation, mit 120 bisher getöteten Blauhelmsoldaten. Darunter könnten künftig auch deutsche Soldaten sein.

In Mali steht eine politische Lösung noch aus. Die Vereinbarung von 2014, die dem Waffenstillstand zwischen Tuareg-Rebellen und Regierung zugrunde liegt, ist extrem wackelig und kurzfristig angelegt. Seit den 1960er-Jahren fordern die Tuareg im Norden Malis einen unabhängigen Staat. Doch nicht einmal föderale Strukturen, die Anerkennung ihrer kulturellen Eigenständigkeit und der Zugang zu grundlegenden sozialen Leistungen stehen zur Diskussion. Solange es keine politische Lösung gibt, die diese Anliegen der Bevölkerung im Norden berücksichtigt, sind ein Waffenstillstand und seine militärische Sicherung völlig unzulängliche Ersatzhandlungen.

Dschihadisten wie Al-Qaida im islamischen Maghreb dürfen auch in Mali nicht am Verhandlungstisch sitzen. Wie will man weitere Anschläge von Al-Qaida wie jene auf die Hotels in der Hauptstadt Bamako und der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou oder die Tötung von Blauhelmsoldaten verhindern, solange sich das nicht ändert?

In Syrien herrscht seit Beginn des Krieges trotz des allseitigen Eingreifens internationaler Truppen Chaos. Nach der militärischen Niederlage des Islamischen Staates hat sich dort die Khorasan Miliz gebildet, die US-Geheimdienste für noch gefährlicher halten als den IS. Es ist wie die Hydra: Schlägt man ihr einen Kopf ab, wachsen an dessen Stelle zwei neue. Im Irak ist der IS noch lange nicht ausgelöscht und hat immer noch einen beträchtlichen Rückhalt unter den Sunniten.

Auch in Libyen und Afghanistan konnten die Dschihadisten nicht vollständig verdrängt werden. Warum also sollte eine Strategie, die in diesen Ländern versagt hat, in Mali funktionieren? Eine politische Lösung unter Einbeziehung aller beteiligten Parteien, also auch der Dschihadisten, wäre für die Bevölkerung besser. Die umfangreichen Gold-, Phosphat-, Öl-, Gas- und Uranvorkommen in Mali könnten durch Verständigung und Verhandlungen dann zum Vorteil aller Akteure statt unter dem Druck militärischer Mittel abgebaut werden.

Dieses Thema verdeutlicht zwei grundlegende Elemente einer pazifistischen Friedenspolitik. Es genügt nicht, Missstände festzustellen. Wir brauchen positive Visionen wie „Verhandeln statt schießen“ mit allen Kriegsparteien, auch mit Dschihadisten, weil sich unsere Adressaten politische Alternativen vorstellen müssen, um den Wunsch zu entwickeln, dorthin aufzubrechen.

Zudem ist der politische Pazifismus keine Politik des Zuschauens, sondern setzt auf politische Initiativen und gewaltlose Konfliktbearbeitung gerade durch die Bundesregierung. Pazifismus ist nicht Widerstandslosigkeit gegenüber dem Bösen, sondern Widerstand ohne Gewalt (nach Martin Luther King). Auch die pazifistische Einstellung ist nicht frei von moralischen Dilemmata, aber das geringere Übel im Vergleich zu den Tausenden von Opfern, die Kriege fordern.

Oder wie der amerikanische Schriftsteller und Weltkriegsveteran Norman Mailer sagte: »Krieg zu führen, um wieder etwas in Ordnung zu bringen, taugt genauso viel wie ein Bordellbesuch, um eine Geschlechtskrankheit zu kurieren.«

Rüstungsexporte sind das zweite zentrale Thema der DFG-VK. Der Norden Malis gilt als Rückzugsraum für islamistische Terroristen und als Durchgangsroute für den internationalen Waffenschmuggel. Dazu haben deutsche Firmen beigetragen, die beide Seiten im Libyenkrieg mit Rüstungsgütern belieferten. Diese sind anschließend in den Norden Malis gelangt.

Deutschland sollte endlich seine Rüstungsexporte an Saudi-Arabien und anderswo einstellen, statt Waffen dorthin zu liefern und sogar Leopard-Kampfpanzer an die andere Regionalmacht Katar, die das Emirat im blutigen Jemen-Krieg einsetzt. Waffen an Kriegsparteien zu liefern, ist wie Öl ins Feuer zu gießen. Sie verlängern den Krieg nur und geraten unweigerlich über kurz oder lang in die falschen Hände. Z.B. stammen die Waffen des IS größtenteils aus den USA und Russland und wurden von der irakischen und syrischen Armee gestohlen. Deutschland zählt leider zu den fünf größten Rüstungsexporteuren weltweit, mit einem Drittel seiner Exporte in die Krisenregion Nahost/Nordafrika.

In diesem Zusammenhang gratulieren wir euch Kölnern herzlich dazu, dass aufgrund eurer Proteste gegen die Militär- und Waffentechnik-Messe ITEC die Messe Köln der ITEC für 2018 eine Absage erteilt hat.

Die Deutsche Friedensgesellschaft als älteste deutsche Friedensorganisation hat dazu beigetragen, dass eine Mehrheit unserer Bevölkerung für das Verbot von Atomwaffen ist. Wenn der Friedensnobelpreis am 10. Dezember an die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen Ican geht, ist die DFG-VK gewissermaßen Mit-Preisträgerin. Denn wir arbeiten schon lange mit Ican zusammen, die ein Bündnis von verschiedenen Organisationen und Initiativen ist. Ican hat maßgeblich das im Juli bei den UN beschlossene Verbot von Atomwaffen erreicht, das noch von 50 Staaten ratifiziert werden muss, um in Kraft zu treten. Wir werden am 10. Dezember in Zusammenarbeit mit den vielen Bürgermeistern für den Frieden die Bundesregierung auffordern, dem Verbotsvertrag beizutreten und die in Büchel lagernden US-Atomwaffen endlich abziehen zu lassen.

Was den Brandherd Nordkorea anbetrifft, haben sich Sanktionen als unwirksam erwiesen, Präventivschläge wären verhängnisvoll. Es führt kein Weg an direkten Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea vorbei. Die USA sollten dabei klarstellen, dass nicht ein Sturz des Regimes, sondern das Einfrieren und dann die Verringerung von Nordkoreas Atomwaffenprogramm ihr Ziel sind. Diese Ziele werden sich nur im Tausch gegen Garantien für Nordkoreas Sicherheit und seine ökonomische Entwicklung, die Absage der US-Militärmanöver mit Südkorea und einen Friedensvertrag erreichen lassen.

Der besagte UN-Verbotsvertrag ist ein wichtiger Schritt hin zu einer atomwaffenfreien Welt. Ebenso wichtig sind Verträge zum Verbot von militärischen Drohnen und autonomen Waffensystemen. Wir fordern von der Bundesregierung, keine Kampfdrohnen anzuschaffen und zu entwickeln und eine internationale Ächtung dieser Waffensysteme zu erwirken.

Die Nato, die Union und die FDP fordern, 2% des Bruttoinlandprodukts für Rüstung auszugeben. Was so harmlos klingt, wäre in Wirklichkeit die massivste Aufrüstung seit dem 2. Weltkrieg und eine irrsinnige Verschwendung von Steuergeldern für völlig unproduktive Zwecke. Es geht um 34 Milliarden mehr und damit fast eine Verdoppelung des Bundeswehr-Haushalts. Unser Mitglied Margot Käßmann hat in ihrer hervorragenden Rede auf unserem Bundeskongress zu Recht gefragt, warum das Heil weiter im Militär gesucht wird, wenn wir doch alle wissen, dass mehr Rüstung nicht mehr Frieden bringt, sondern Krieg wahrscheinlicher macht?

Aus diesen Mitteln finanziert die Bundeswehr ihre penetrante Propaganda zur Rekrutierung neuer Soldatinnen und Soldaten als Kanonenfutter. Schon jetzt tut die Bundeswehr-Werbung so, als wäre der Einsatz dort wie das Raufen auf einem Abenteuerspielplatz. Wir halten dagegen und stoßen in die offene Wunde der Bundeswehr, dass die Rekrutierung Minderjähriger, ihre Anwerbung an Schulen und ihre Ausbildung an der Waffe nicht mit der Kinderrechtskonvention gegen Kindersoldaten vereinbar sind. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die Kinderkommission des Bundestags haben sich für ein Ende der Rekrutierung Minderjähriger ausgesprochen.

Dabei sollten wir die derzeitige jährliche Internationale Aktionswoche gegen die Militarisierung der Jugend nutzen als medialen Aufhänger für Aktionen, auch in Abwesenheit der Bundeswehr. Wir vernetzen uns international etwa in der War Resisters‘ International und lernen so vom Widerstand in Großbritannien gegen das Militär in Schulen und die Rekrutierung Minderjähriger und in Südkorea gegen Waffenmessen. Wir unterstützen Friedensgruppen in der Türkei, die für ein Ende der dortigen Gewaltspirale zwischen Kurden und Türken eintreten. In vielen Ländern ist Kriegsdienstverweigerung noch nicht erlaubt. Die Wehrpflicht wird in Skandinavien und im Nahen Osten wiedereingeführt bzw. ausgedehnt.

Die Deutsche Friedensgesellschaft war Teil der gewaltfreien Bewegung, die Anfang der 1970er Jahre das Ende des Vietnamkrieges durchsetzte. Auch heute  sehen wir uns als Teil einer weltweiten Bewegung gegen Krieg und Rüstung: Frieden ist ein Menschheitsprojekt. Nur in einer friedlichen Welt lassen sich die Zukunftsprobleme der Menschheit, der Klimawandel, die Umweltzerstörung, die Fluchtbewegungen und die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit lösen.

Lasst uns mit Margot Käßmann schließen und darauf insistieren, dass Friedenspolitik und politischer Pazifismus weitaus realistischer sind als die sogenannte „Realpolitik“.

Vielen Dank für eure Langmut.

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