Keine Absolution für die Bundeswehr – Wendepunkt für Gottesdiensttradition in Köln?

Kardinal Woelki legte im Internationalen Soldatengottesdienst in Köln nahe, Fluchthilfe sei notfalls auch unter Befehlsverweigerung zu leisten, um Menschenleben und Menschenwürde zu schützen. Anders als in den Vorjahren rechtfertigte er den Einsatz militärischer Gewalt in keiner Weise. Den Friedensgottesdienst der katholischen Verbände im Erzbistum Köln unterstützt er mit einem Grußwort.

Von Stefanie Intveen, 14.11.2018

Vor weit über 1.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und anderer Armeen hielt Erzischof Rainer Maria Kardinal Woelki am 11. Januar 2018 im Kölner Dom eine Predigt, die einen Wendepunkt in der Entwicklung der Internationalen Soldatengottesdienste in Köln markieren könnte.

Der Kölner Dom ist vom Poller Rheinufer aus im Bildhintergrund hinter der lindgrünen Severinsbrücke zu sehen. Vorne rechts ist eine Reihe winterlich kahler, aber rötlich scheinender Linden, die eine Allee auf dem Rheindamm bilden.

Kölner Dom. Januar 2018. Foto: Stefanie Intveen

Seit 1977 veranstaltet die Katholische Militärseelsorge jedes Jahr zum Weltfriedenstag der Katholischen Kirche einen internationalen Soldatengottesdienst und lädt dazu den jeweils amtierenden Kölner Erzbischof als Zelebrant ein. Im Anschluss an den Gottesdienst finden hochrangige Gespräche zwischen politischen, militärischen und kirchlichen Führungspersonen statt. In den vergangenen Jahren beinhalteten die Predigten des jeweiligen Erzbischofs einen Passus, mit dem militärische Gewalt – natürlich im Ausnahmefall und als letztes Mittel („ultima ratio“) – gerechtfertigt wurde. Das war sogar 2017 der Fall, obwohl Papst Franziskus gerade eine eindeutig pazifistische Botschaft zum Weltfriedenstag verkündet hatte: „Gewaltfreiheit – Stil einer Politik für den Frieden“.

Ein Mann im dunklen Mantel trägt ein Schild im Wüsten-Design der Bundeswehrwerbung mit der Aufschrift "Jetzt wieder werben fürs Sterben!". Neben ihm geht ein bewaffneter Moses mit weißem Rauschebart und einer umgehängten "Steintafel" mit dem 5. Gebot "Du sollst nicht töten!"

Protest gegen Soldatengottesdienst im Kölner Dom am 11.1.2018. Foto: Stefanie Intveen

Wie in den Vorjahren protestierten Friedensgruppen am diesjährigen 11. Januar vor dem Kölner Dom mit Liedern, Transparenten und Straßentheater. Sie kritisierten, dass die zentrale Veranstaltung anlässlich des Weltfriedenstags ausgerechnet ein Soldatengottesdienst sei. Die pazifistische katholische Organisation Pax Christi und andere Organisationen im Erzbistum Köln hatten sogar zu einem „zivilen“ Friedensgottesdienst am folgenden Tag eingeladen, den Kardinal Woelki erstmalig mit einem freundlichen Grußwort unterstützte.

Das Antimilitaristische Aktionsbündnis Köln kritisierte, der Soldatengottesdienst trage dazu bei, „der Bundeswehr und dem Militarismus in der Öffentlichkeit Raum zu geben und somit zunehmende Kriegshandlungen als unumgänglich, ja als Normalzustand, zu betrachten.“ Das Bündnis weiter: „Wer dennoch Soldaten als Ausführende dieser Politik segnet, erleichtert ihr Gewissen und sorgt dafür, dass Kriege weiterhin gerechtfertigt werden, statt zu friedlicher Konfliktlösung und Sicherheit durch Entspannungspolitik zu mahnen. Krieg darf nicht zur Normalität werden.“

Diesmal sagte Kardinal Woelki in seiner Predigt aber nicht das, was alle protestierenden Friedensbewegten draußen befürchtet und worauf vielleicht manche der Führungspersönlichkeiten im Kölner Dom gezählt hatten. Er erleichterte nicht das Gewissen der Soldatinnen und Soldaten und rechtfertigte mit keiner Silbe den Einsatz militärischer Gewalt.

Im Gegenteil: er legte in seiner Predigt nahe, Befehlsverweigerung sei mitunter notwendig, um Menschenleben und Menschenwürde zu schützen. Mit Bezug auf den Text des Evangeliums erklärte er, die Heiligen Drei Könige hätten sich Herodes’ Anweisungen widersetzt und damit der Heiligen Familie mit dem neugeborenen Jesus die Zeit verschafft, die sie gebraucht hätten, um vor Herodes nach Ägypten flüchten zu können. Die drei Weisen hätten verstanden, in welcher Gefahr die junge Familie schwebte, da Herodes aus Gründen der Machterhaltung plante, alle neugeborenen Jungen in Bethlehem umbringen zu lassen.

Soldatengottesdienst am 11.1.2018 in Köln. Michael Sünner diskutiert mit einem Bundeswehrsoldaten. Foto: Stefanie Intveen

Der Kardinal ließ keinen Zweifel daran, dass die biblischen Texte eine sehr konkrete Bedeutung für die heutige Zeit haben, und zog Parallelen zwischen dem biblischen Bericht über den Kindermord von Bethlehem und den von Verfolgung, Terror und Gewalt bedrohten Kindern in Aleppo, im Nordirak und im Jemen. Die drei Könige oder Weisen seien in der Lage gewesen, über den Tellerrand ihres Lebens hinauszublicken: „Sie waren (…) Fluchthelfer! Hätten sie sich nämlich der Anweisung des Herodes gebeugt, es gäbe weder das Christentum, noch die Kirche.“

Damit nahm Kardinal Woelki auf einem festen Fundament christlicher und humanistischer Ethik unmissverständlich Stellung zu zwei politisch brisanten und hochaktuellen Fragen: Fluchthilfe muss geleistet werden, und wer die Kraft dazu aufbringen kann, muss dazu auch Befehle verweigern.

Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr, welche der Bundestag in Kriegen, Bürgerkriegen und Flucht- und Migrationszonen einsetzt, können ihr persönliches Verhalten in konkreten Entscheidungssituationen an diesen ethischen Handlungsleitlinien messen und ihr grundgesetzliches Recht auf Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen wahrnehmen, wenn es ihnen geboten erscheint. Den Segen von Kardinal Woelki hätten sie dafür.

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Quelle:
Kardinal Woelki: Predigt im Internationalen Soldatengottesdienst am 11.1.2018, Videomitschnitt des Domradio

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Eine persönliche Schilderung des Gottesdienstes mit weiteren Zitaten von  Kardinal Woelki findet sich hier.

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