Günter Küsters bei Ostermarsch: Ist „Salisbury“ der Testfall für die Kriegstreiber?

Von Günter Küsters.

Rede zum Auftakt des Ostermarschs Rhein-Ruhr am 31.3.2018 in Köln.

Liebe Friedensleute,

Ich weiß nicht, wie es Euch ergeht: ich empfinde es als ein großes Schmierentheater, wie momentan Russland zum Outlaw der Weltgemeinschaft abgestempelt wird.

Ein älterer, etwas korpulenter Mann mit dunkler Baseballkappe und Brille spricht ins Mikro. Die Sonne scheint, im Hintergrund sind Transparente und Flaggen, darunter die blauweiße DFG-VK-Flagge, zu erkennen.

Günter Küsters bei Osterkundgebung der DFG-VK in Köln. Foto: © 2018 Berthold Bronisz/r-mediabase.eu

Wie bereits 2002 der britische Geheimdienst-Chef von MI6 angeblich die „Beweise“ geliefert hatte, dass Saddam Hussein im Besitz von Chemiewaffen sei und US-Aussenminister Colin Powell vor der UN-Versammlung sein Lügen-Theater zur Existenz von Iraks Massenvernichtungswaffen vorführte, stellt sich nun Premierministerin May nebst ihrem Außenminister wieder mit Informationen des gleichen Geheimdienstes hin.

Scheinbar um auf dem Brexit-Hintergrund die Feindbildeinigkeit mit den alten EU-Freunden zu bekunden, beklagt sie einen Giftgaseinsatz in Salisbury, nahe der geheimen, britischen Forschungsanlage zur Analyse von Kampfstoffen, als eine

illegale Gewaltanwendung des russischen Staates gegen Großbritannien.

Obgleich selbst der Ex-EU-Kommissar, Günter Verheugen, gegenüber der Augsburger Allgemeinen darauf hinwies, dass Großbritannien keinen einzigen Beweis vorgelegt hat, schießt nun die „westliche Wertegemeinschaft“ medial und diplomatisch aus allen Rohren.

Dabei hieß es die Monate vorher, Russland habe zugunsten von Trump in den US Wahlkampf eingegriffen. Nun aber weiß doch mittlerweile jeder Facebook–Datenspender, dass 50 Millionen User aus dieser „Social-Network“-Gemeinde unter(m) Zuckerberg der Marketingfirma Cambridge Analytica hierzu verholfen hat.

„Die Zeit“ z.B. propagierte es am 31.10.2017 wie weitere Massenmedien anders. Vernetzt u.a. über die Atlantik-Brücke und mit dessen Chef, dem CDU-Hoffnungsträger Friedrich Merz, der zugleich deutscher Chef des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock ist, kam es pseudoseriös, aber feindbildpassend. Es hieß dort, russische Gruppen hätten Facebook via 126 Millionen User stärker als bisher angenommen missbraucht. Ihre Anzeigen für wahnsinns 150.000 Dollar (also etwa ein Drittel der 433.000 USD-Spende von Bayer mit Hauptaktionär BlackRock an Trump) sollten angeblich im US-Wahlkampf Hass zwischen sozialen Gruppen säen.

Beim ersten Ostermarsch 1961 wurde noch gespottet

„Wenn einer auf die Straße strullt, dann sind daran die Russen schuld.“

Da könnte man einstimmen. Doch die innen- wie außenpolitischen Verhältnisse mit einer hochgerüsteten Bundeswehr im militärischen Auslandseinsatz inklusive Gefechtsübungen kurz vor der russischen Grenze, sowie die fortlaufenden, selbst atomaren Drohgebärden eines hochgerüsteten US-Präsidenten sind mittlerweile immer gefährlicher, und somit ist diese Propaganda sehr ernst zu nehmen.

Zu seinem Leidwesen hat der Westen in Rußland nicht mehr einen besoffenen Jelzin mitsamt seiner Beraterschar von Chicago-Boys sitzen, den man durch US-amerikanisch geführten Wahlkampf die letzte Amtsperiode verschaffte (nachzulesen in Naomi Kleins Buch zur Schock-Strategie des Katastrophen-Kapitalismus ab S.341ff). Darum müssen gegenüber einem unabhängigeren Rußland unter Putin – und danach dann wohl gegen den Hauptfeind China – Verschwörungstheorien her.

Hundert Jahre nach dem 1. Weltkrieg: Salisbury=Sarajewo? Doch wohl noch nicht. Doch ist es nicht bereits ein Testfall mit dem gezeigt wird, wie weit die Kriegstreiber bereits gehen?

Der damals darauffolgenden, deutschen Novemberrevolution wird offiziell wohl kaum positiv gedacht. Darum sollten wir insbesondere am Tag der Bundeswehr, dem 9.6. 2018, den Widerstand gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr verstärken und dabei den Matrosenaufstand in Kiel als Traditionsvorbild einfordern und nicht Kasernen, wieder aufopferungsbereit, nach getöteten Soldaten bei der „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“ benennen.

Wir sind dringend aufgefordert, der fortgesetzten Feindbild-, ja Kriegspropaganda entgegenzutreten und dabei massenhaft aufzuklären, dass es andere, friedensförderliche Nachrichtenplattformen gibt. Dort, wo man statt der staatlich verordneten, mainstreammedialen Verschwörungstheorien und Fake-News informativ und wahrheitsgetreuer „abrüstet“ und entspannungspolitisch in die Welt der realen, politischen Geschehnisse zugunsten von Interessen der Mehrheit der Bevölkerung eintreten kann.

Denn der von der NATO erklärte Bündnisfall zu 9/11 für den sogenannten „Krieg gegen den Terror“ hat laut IPPNW bereits in den ersten 14 Jahren über 1,3 Millionen Menschen das Leben gekostet, und der Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz errechnete, dass allein die Kosten des Irakkrieges etwa drei Billionen US-Dollar betrugen (NTV 9.9. 2015).

„Welt im Krieg“, so hat das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen UNHCR schon 2014 angesichts der höchsten Zahl von Geflüchteten seit 1945 seinen Jahresbericht überschrieben. Aber statt die Fluchtursachen zu bekämpfen, werden die nach Europa Geflohenen als Futter für Begründungszusammenhänge zugunsten extremer Rechtsentwicklung und Sicherheitsstaatsausbau genutzt.

Vielmehr liefert Deutschland mit seinen profitgierenden Rüstungsschmieden die Waffen, die Tod, Zerstörung und Flucht auslösen, aber gibt noch vor, mit 1000 Soldaten u.a. in Mali die Fluchtursachen zu bekämpfen. Ein Hohn, der zum Himmel schreit, wenn man sich dort nach der französischen Besetzung der G5-Sahel-Staaten (über die Operation Barkhane von 2014) nun zum Komplizen der Restaurierung eines Französisch-Westafrikanischen Kolonialreichs macht. (vgl. http://www.imi-online.de/2017/12/13/das- kerneuropa-konstituiert-sich-im-sahel/)

Die Große Koalition in Deutschland nutzt nun außerdem das EU-Brexit-Desaster, um die wiederholt in Frage gestellte EU-Einheit über ein gemeinsames Feindbild im Osten und die Militarisierung Europas mittels PESCO zusammenzukitten. PESCO, in deutsch offiziell als „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ zu verstehen, ist bereits seit 2009 im Lissaboner EU-Vertrag (laut Juncker als „schlafende Schönheit“) genannt, aber durch Großbritanniens Nähe zur US-Hegemonie nicht aktiv geworden.

PESCO wird aber seit Ende 2017, also nach dem Brexit, von einem Kerneuropa unter Führung Deutschland und Frankreich ohne früheres Konsensprinzip zu den anderen EU-Ländern massiv propagiert: mit verpflichtenden 20% Rüstungsgüterausgaben über die erhöhten NATO –Rüstungsvorgaben hinaus. Laut Morgenpost könnte PESCO für das Militär der EU „einmal so bedeutend werden, wie der Euro für die Wirtschaft“.

PESCO soll innerhalb der neuen EU-Globalstrategie militärische Fähigkeiten und Kapazitäten bündeln, einen gemeinsamen Rüstungsmarkt und gemeinsame EU-Militärstrukturen schaffen, damit Europa eine „autonome Handlungsfähigkeit“ erlangt und zu einer militärische Supermacht wird.

Zentrale PESCO-Projekte sollen z.B. „grenzüberschreitende Militärtransporte in Europa vereinfachen“. Der in Deutschland geltende Parlamentsvorbehalt wird nebenbei in Frage gestellt, wenn dabei unter „beschleunigtem politischen Engagement auf nationaler Ebene gegebenenfalls ihre nationalen Beschlussfassungsverfahren zu überprüfen“ sind.

Im gleichen PESCO-Kontext ist dem Handelsblatt vom 9.1. 2018 zu entnehmen:

„Deutschlands Waffenhersteller hoffen darauf, dass gemeinsame europäische Programme einen neuen Boom bringen.“

So werden über PESCO Fusionen zu noch größeren Rüstungskonzernen und die Herausbildung eines europäischen MIK (Militärisch-Industriellem-Komplex) vorangetrieben.

Wenn wir also international am 11.7. 2018, dem Tag des nächsten NATO-Gipfels, bei Aktionen innerhalb vieler Bündnis-Länder NoToNATO fordern, sollte folglich diese Losung um NoToPescoEU erweitert werden !

Auf dem Hintergrund der

  • Konfrontation gegen Russland statt notwendiger Entspannungspolitik,
  • der „Welt im Krieg“,
  • dem „Drohnenterror“ wie den intensiv fortgesetzten Planungen für das „digitale Schlachtfeld“,
  • der Modernisierung von Atomwaffen statt ihrer Abschaffung,
  • der wiederholten Missachtung des Völkerrechts wie aktuell durch die Türkei beim Einmarsch in Afrin und weiteren Teilen Nordsyriens,
  • der massiven Aufrüstung und
  • der Notwendigkeit, die zunehmende globale Verarmung bei gleichzeitiger Vermögenskonzentration sowie den Klimawandel weltweit zu bekämpfen,

haben wir Gründe genug, unsere Friedensaktionen auf allen Ebenen nachhaltig zu verstärken.

Darum (vorerst für heute): Auf zum Ostermarsch!

Günter Küsters ist Mitglied der „AG Geopolitik und Frieden“ von Attac Köln und Kölner Friedensforum.

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