„Die Großen machen oben ihre Politik und wir unten halten einfach den Kontakt zueinander“ – Eva Aras zum 75-jährigen Kriegsende in Köln

Eva Aras redete am 9. Mai 2020 zum 75-jährigen Kriegsende auf Einladung des Vereins “Erinnern für die Zukunft” auf dem Heumarkt in Köln.


Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Freunde,

ich begrüße Sie und freue mich, auf der Kundgebung zum 75. Jahrestag des Sieges über Nationalsozialismus und Faschismus reden zu können.

Der 8. und der 9. Mai sind Daten von entscheidender Bedeutung für Europa, da damit der Zweite Weltkrieg endete, der für alle Beteiligten grausam war. Gleichzeitig bedeutete das auch „die Befreiung vom System der menschenverachtenden nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“- so nannte es der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 in seiner Rede.

Die Sowjetunion wurde von Deutschland überfallen und 27 Millionen Bürger kamen dabei um. Wussten Sie, dass das fast die Hälfte aller Opfer im Zweiten Weltkrieg ist? Die Sowjetunion hatte die Hauptlast zu tragen. Wir Deutschen sind ihnen unendlich dankbar dafür, dass sie diesen Krieg durchgehalten und uns mit den übrigen Alliierten vom Nationalsozialismus befreit haben. Doch leider ist diese Dankbarkeit wenig zu bemerken, besonders nicht von Seiten unserer Regierung.

  • So wurde von deutscher Seite auf die Einladung Russlands, an der Gedenkfeier zum 75-jährigen Ende des Zweiten Weltkrieges teilzunehmen, nicht reagiert.
  • Putin wurde weder zum D-Day in der Normandie im Juni 2019 eingeladen, noch zur Gedenkfeier zur Befreiung von Auschwitz, wobei die Befreiung eine Tat sowjetischer Soldaten war.

Das ist eine Schande – so nennt es der Historiker Götz Aly, über die wortlos hinweggegangen wird. Es gehe hierbei nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit Putin, sondern um die Wertschätzung eines ganzen Volkes, das einen maßgeblichen Beitrag zur Befreiung vom Faschismus geleistet hat.

Doch was können wir tun?  Wir können in dieser politischen Situation als Zivilgesellschaft wenigstens auch auf der unteren Ebene die Verständigung mit Russland aufrecht erhalten.

Eine Frau mit Brille und dicken graumelierten kurzen Locken spricht in ein Mikro. Sie trägt ein schwarzes Oberteil und ein langes hellrotes Tuch. Hinter ihr ist das Fragment eines blauen Plakats mit der weißen Aufschrift "Für Zukunft" zu sehen.

Eva Aras, Vorsitzende des Städtepartnerschaftsvereins Köln-Wolgograd e. V. am 9.5.2020 auf dem Heumarkt in Köln. Foto: Stefanie Intveen

Unser Verein macht das seit 31 Jahren. Wir unterstützen Projekte, besonders das Hilfsprojekt für ehemalige Zwangsarbeiter*innen in Wolgograd, das wir seit 18 Jahren fördern; wir organisieren

regelmäßige Reisen nach Wolgograd. Und jedes Mal sind wir überwältigt von der Welle der Sympathie, der wir dort begegnen: im ehemaligen Stalingrad, das von Deutschen dem Erdboden gleichgemacht wurde, sind alle so herzlich, offen und gastfreundlich uns gegenüber, dass wir uns dafür fast schämen. Deutschland hat trotz seiner ablehnenden Haltung Russland gegenüber in der russischen Bevölkerung eine hohe Anerkennung und Wertschätzung. Das begegnet uns immer wieder. Man liebt die deutsche Kultur. So wird in der Ruhmeshalle in dem großen Denkmal „Mutter Heimat“ die Träumerei von Schumann gespielt.

Der ehemalige Wolgograder Oberbürgermeister Jurij Starovatykh, der vor 32 Jahren mit Norbert Burger die Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd gegründet hat, nennt immer den Begriff „Volksdiplomatie“: die Großen machen oben ihre Politik und wir unten halten einfach den Kontakt zueinander, begegnen uns und stellen fest, wie viele Gemeinsamkeiten wir haben.

So kann man die Städtepartnerschaft zwischen Köln und Wolgograd als einen Mosaikstein sehen, dass die Menschen sich annähern und in Frieden und Freundschaft miteinander leben.

Dabei wollen wir aber nicht bleiben.

Gott sei dank gibt es in unserer Republik immer wieder Stimmen, die an die Ostpolitik von Willi Brandt und Egon Bahr anknüpfen und sich für einen Dialog mit Russland aussprechen. Seit einigen Jahren haben wir es uns zusammen mit anderen Kölner Gruppen zur Aufgabe gemacht, solche Stimmen zu stärken. So haben wir Veranstaltungen mit Matthias Platzeck und Fritz Pleitgen durchgeführt und eine mit Frau Krone-Schmalz geplant, die wegen Corona abgesagt werden musste.

Wir hoffen, dass auf diese Weise unsere Stimmen weit nach oben reichen und vielleicht zu einer Änderung der konfrontativen Politik beitragen.

Eine Gruppe Menschen steht in quadratisch auf dem Boden markierten Kästchen vereinzelt vor einer ebenerdigen Bühne. Im Hintergrund Transparente mit russischer und deutscher Aufschrift "Unsterbliches Regiment Köln".

Gedenkfeier von „Erinnern für die Zukunft“ am 9.5.2020 auf dem Heumarkt in Köln unter Beachtung von Infektionsschutzauflagen. Foto: Stefanie Intveen


Eva Aras ist Vorsitzende des Städtepartnerschaftsvereins Köln-Wolgograd e. V.

Das könnte dich auch interessieren …

×