Jetzt auf Video: „Atomkrieg aus Versehen?“ mit Rolf Mützenich, Karl Hans Bläsius und Rainer Schwalb

Von Hans-Dieter Hey (R-mediabase), 21.1.2021. Eine höchst interessante Veranstaltung lieferte die Melanchthon-Akademie in Köln zum Thema “Atomkrieg aus Versehen” unter Mitwirkung der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, dem Internationalen Versöhnungsbund, dem Friedensbildungswerk Köln, dem Katholischen Bildungswerk und dem Kölner Friedensforum

Teil 1/4: Einleitende Worte von Joachim Ziefle (stellv. Leiter der Melanchthon-Akademie), Gesprächsführung (Christiane Lammers vom Vorstand des Friedensbildungswerks Köln)

Teil 2/4: Prof. Dr. Karl-Hans Bläsius, Fachmann für künstliche Intelligenz, Trier

Teil 3/4: Rainer Schwalb, Brigadegeneral a.D.

Teil 4/4: Dr. Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

Nie wieder Atomwaffen

Der Atomwaffenverbotsvertrag wurde im Jahr 2017 von den Vereinten Nationen verabschiedet. Nach Uno-Generalsekretär Antonio Guterres stelle er eine

bedeutende Verpflichtung hin zu einer kompletten Elimination von Nuklearwaffen

dar. Peter Meurer, Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, hält ihn „für einen Sieg der Menschheit“. Der Vertrag verpflichtet die Staaten, “nie, unter keinen Umständen Atomwaffen zu entwickeln, herzustellen, anzuschaffen, zu besitzen oder zu lagern.“

Atomwaffenverbotsvertrag ohne Deutschland

Der Vertrag wurde von 50 Staaten ratifiziert. Die Atommächte waren nicht dabei. Auch Deutschland hat den Vertrag bisher nicht unterschrieben. Mit den anderen Nato-Mitgliedern hatte man sich bei der Verabschiedung ferngehalten. Und Angela Merkel weigert sich beharrlich, den bereits 2010 gefassten Bundestagsbeschluss über den Abzug der US-Atombomben, die in Büchel in der Eifel lagern, umzusetzen. Die Friedensbewegung fordert mit „Büchel ist überall! Atomwaffenfrei.jetzt“ endlich ihren Abzug.

Auf eine Anfrage der Fraktion Die.Linke im Deutschen Bundestag reagierte die Bundesregierung lapidar. Aus ihrer Sicht könne der Atomwaffenverbotsvertrag

zu einer Fragmentierung und realen Schwächung internationaler Abrüstungsbemühungen im nuklearen Bereich führen.

Doch selbst der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages widerspricht und kommt zu einem anderen Ergebnis. Der Atomwaffenverbotsvertrag enthalte „konkrete Abrüstungsverpflichtungen“ und habe „die Strategie der nuklearen Abschreckung delegitimiert“. Darauf weist die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen hin.

Christoph von Lieven, Sprecher für Abrüstung und Frieden von Greenpeace Deutschland:

Dass Greenpeace und andere seit 50 Jahren um ein Verbot von Atomwaffen kämpfen müssen, zeigt wie diese Bundesregierung an Lagerdenken und Vernichtungsdrohung festhält und sich zunehmend international isoliert anstatt echte Sicherheit durch den in den Vereinten Nationen beschlossen Atomwaffenverbotsvertrag zu gewährleisten,

teilt Pressenza heute mit.

75 Jahre Erfolg der weltweiten Widerstandsbewegung

Trotz weltweiter Widerstände der waffenstarrenden Mächte des alten und neuen Ost-West-Konflikts gelang der Durchbruch durch „Jahrzehnte lange Überzeugungsarbeit internationaler Friedenskräfte und -bewegungen“, so das Kölner Friedensforum.

Mehr als 75 Jahre nach dem Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki werden damit Kernwaffen völkerrechtlich geächtet; Entwicklung, Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung, Einsatz von Kernwaffen sowie die Drohung damit werden verboten.

Annalena Baerbock (Die Grünen) warnt:

Wir müssen raus aus der Spirale von immer mehr Atomwaffen.

Doch der Politikwissenschaftler Dr. Alexander Neu, MdB DIE.LINKE, sieht die Position der Grünen kritisch:

Die Grünen sind eine außen- und sicherheitspolitische Katastrophe. Statt Entspannung in Europa mit Russland, transatlantischen Militarismus.

Heike Hänsel, Stellvertretende Vorsitzender der Linksfraktion fordert Taten:

Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Maas könnten einen historischen Beitrag leisten, damit die Gefahr eines atomaren Krieges in Europa endlich der Vergangenheit angehört.

Manche setzen auf einen Wandel mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden. Russland hatte Verhandlungsbereitschaft signalisiert und will die Anzahl der Atomsprengköpfe für ein Jahr einfrieren, wenn die USA nicht zusätzliche Forderungen stellten. Informatiker Prof. Dr. Karl Hans Bläsius aus Trier warnt indessen davor, dass die Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen nach wie vor groß sei und weist auf Erfahrungen.

Der Beinahe-Atomkrieg

Am 26. September 1983 hatte der leitende Offizier in der Kommandozentrale der sowjetischen Flugüberwachung einen Angriff der USA mit nuklearen Interkontinentalraketen auf die UdSSR korrekt als Fehlalarm eingestuft. Offizier Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow hatte so damals einen Atomkrieg gerade noch verhindert. Seit 1979 gab es sechs dieser gefährlichen Vorfälle. Dr. Rolf Mützenich (Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion) glaubt nicht, dass die auf dem Bundeswehr-Flugplatz Büchel (Eifel) stationierten US-Atombomben zur Sicherheit Deutschlands beitragen. Er hält das Eskalationsrisiko für unüberschaubar, weil auch die USA Atomwaffen nicht als Abschreckung, sondern als Mittel der Kriegsführung sähen. Und Deutschland? Wir sehen uns verniedlichend als „Nukleare Teilhaber“.

Köln gehört – wie viele andere Städte in der Welt – seit 1986 zum internationalen Netzwerk der „Mayors for Peace“ (Bürgermeister und Bürgermeisterinnen für den Frieden), die die Flagge des Netzwerks an diesem Tag vor dem Rathaus hissen und damit ihre Unterstützung gegen die weitere atomare Bewaffnung erneut deutlich machen.


Hans-Dieter Hey engagiert sich im gemeinnützigen R-mediabase e. V., Hürth, dem „Forum für mediale Gegenöffentlichkeit – Verband für kritischen Bildjournalismus“. Hier erschien sein Artikel zusammen mit einer sehenswerten Fotoauswahl über den Widerstand gegen Krieg und Aufrüstung seit den 1950er Jahren. Wir bedanken uns für die Video-Dokumentation der Veranstaltung und den Artikel! 

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