Michael Sünner: „Eine nachhaltige gesunde und friedliche Entwicklung ist möglich und hat längst begonnen!“

Am 4. September 2021 fand am Rudolfplatz in Köln eine Open-Air-Podiumsdiskussion zum Thema „Pflegenotstand“ mit Politiker*innen verschiedener Parteien statt. Die Veranstaltung wurde vom „Kölner Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen“ organisiert. Michael Sünner hielt dabei die folgende Rede:


Liebe Kolleg*innen im Gesundheitswesen und Friedensfreund*innen,

mein Name ist Michael Sünner, und ich spreche hier als Vertreter der DFG-VK und des Kölner Friedensforums.

Uns verbindet nicht nur auf der persönlichen und emotionalen Ebene vieles, sondern auch das, was im weltpolitischen Zusammenhang definiert ist und zurzeit eine politische Zuspitzung gerade auch im Bundestagswahlkampf erfährt.

Die Satzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besagt:

Es ist eines der Grundrechte jedes Menschen ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen oder sozialen Lage, sich einer möglichst guten Gesundheit zu erfreuen.

Darüber hinaus definiert sie Gesundheit als einen

Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens

und legt die Verantwortung der Regierungen für die Gesundheit ihrer Völker dar, der

sie nur durch geeignete Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesundheits- und Sozialwesens nachkommen

können.

Diese Formulierungen dienten als Inspiration für die Ausarbeitung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verwendeten Formulierungen zur Gesundheit.

So schrieben Abgeordnete 2019 in einem Antrag an den Bundestag unter anderem:

Frieden ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte und die umfassende menschliche Entwicklung

und beziehen sich dabei auf den Hintergrund der positiven Dimension des Rechts auf Frieden, nach der Santiago-Deklaration von 2010:

Frieden geht über die Abwesenheit von bewaffneten Konflikten hinaus und bedeutet die Beseitigung aller Arten von Gewalt, ob direkte, politische, strukturelle, wirtschaftliche oder kulturelle Gewalt, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor.

Hier sind wesentliche Übereinstimmungen bzw. Überschneidungen in den internationalen Definitionen von Frieden und von Gesundheit deutlich zu erkennen.

Auch der Ökumenische Rat der Kirchen nennt in diesem Jahrhundert eindeutig

Gesundheit als gesellschaftlichen Auftrag, bei dem es u. a. darum geht, weltweit Hunger und Armut zu beseitigen und dies im Zusammenhang mit Reichtum und Umwelt thematisch anzugehen.

Entsprechendes erfahren wir in diesen Jahren besonders deutlich auch in den Forderungen der weltweiten Fridays For Future-Bewegung zugespitzt in der Forderung nach „Systemwechsel statt Klimawandel“.

Wenn wir auf diesem weltpolitischen Hintergrund über Internationaler Verantwortung und über die Lösung regionaler Probleme und Konflikte nachdenken, dann folgt daraus, wonach diese Lösungen ausgerichtet sein müssen.

Unsere gemeinsamen politische Ziele sind dementsprechend:

  • der Ausgleich zwischen Arm und Reich, also das Herstellen von Gerechtigkeit
  • eine deutliche Senkung statt Erhöhung der Militärausgaben
  • eine weitere Umwandlung von Arbeitsplätzen
  • Umwandung von Waffenproduktion in zivile Produktion
  • Umwandlung von Militäreinrichtungen und -organisationen in zivilen Katastrophenschutz
  • Abrüstung statt Aufrüstung, also keine Erhöhung des Militäretats auf 2% des Bruttoinlandsproduktes, sondern Senkung des Militäretats zu Gunsten der staatlichen Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Soziales.

Der BSV, unser „Bund für soziale Verteidigung“- eine Organisation in der Friedensbewegung -, hat zwölf konkrete Beispiele dazu aufgelistet, von denen ich hier nur eins in der Kürze der Zeit nenne:

Eine Fregatte 125 kostet 827 Millionen Euro! Das entspricht den monatlichen Lebenshaltungskosten von mehr als 200 Tausend Vierpersonenhaushalten. Weitere Beispiele könnt Ihr Euch an unserem Infostand anschauen.

Unsere weiteren konkreten Ziele sind

  • der Erhalt und die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Gesundheitswesen mit Tariflohn
  • die Zurückführung der Gesundheitseinrichtungen weg von profitorientierten Unternehmen hin zu staatlichen und gemeinnützigen Organisationen. Es darf nicht so bleiben, dass Mitarbeiter*innen im Sozial- und Gesundheitswesen, die aus unseren Sozialversicherungsbeiträgen und aus Steuermitteln bezahlt werden, mit zu geringer Entlohnung ausgebeutet werden, während gleichzeitig die Aktionäre der Gesundheitskonzerne ihren Profit daraus ziehen!

Konkrete Maßnahmen auf dem Weg zu unseren gemeinsamen Gesundheits- und Friedenszielen sind zum Beispiel:

  • Die Aufhebung der Patente auf Impfstoffe (zumindest zeitweise). Wir haben genügend davon in den reichen Ländern, aber z. B. in Afrika sind bisher nur etwa zwei Prozent der Menschen geimpft.
  • Ein Stopp den neokolonialen internationalen Handelsverträge, die multinationale Konzerne begünstigen und deren Profit sichern, anstatt den Bevölkerungen zu helfen.
  • Umsetzung des gemeinsames Anliegens von Friedens- und Klimabewegung, die Verminderung des CO2-Ausstoßes bei der Vorbereitung und Durchführung von Kriegen – also bei der Waffenproduktion und dem Militär ganz allgemein – in die nationalen und internationalen Klimaabkommen endlich auch mit einzubeziehen. Sie sind bisher noch davon ausgenommen.
  • Die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages durch die Bundesregierung. Er ist bereits seit Januar internationales Recht. Wir sind gespannt auf die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl und können dort eingreifen. Dazu gehört auch die Aufforderung an die US-Regierung, ihre Atomwaffen aus Büchel in der Eifel abzuziehen und zu vernichten! Wir werden uns morgen dort zu einer Menschenkette versammeln, zu der ich hier auch gerne nochmal einlade. Die Erprobung der Atombomben weltweit und die beiden Abwürfe der US-Atomwaffen auf Hiroshima und Nagasaki 1945 dürfen nie vergessen werden. Es sind Verbrechen an der Menschheit mit lebenslangem gesundheitlichem Leid und massenhaften Tötungen.
  • Aktuell müssen wir das neue europäische Rüstungsprojekt FCAS („Future Combat Air System“) und die Drohnenbewaffnung der Bundeswehr stoppen, weil sie Milliarden Steuergelder verschlingen würden in einer noch nie dagewesenen Dimension. Die Kriegführung mit Drohnen ist – neben der einkalkulierten Tötung von Zivilisten – auch schon nur durch das Überfliegen ein andauernder psychischer Terror, wie wir aus den Berichten über die Kriegführung in den letzten Monaten gehört haben, und: Drohnen schützen nicht die Soldaten, sondern verschlimmern den Terror insbesondere auch durch die vielen Toten und Verletzten in der Zivilbevölkerung.

Für all diese Ziele und Maßnahmen gibt es bereits tatsächlich sehr konkrete und realistische Ansätze, nur noch in zu geringem Umfang und zu wenig bekannt:

  • Wie z. B. in den vielen, nur nicht genug geförderten alternativen Energiegewinnungsmöglichkeiten mit Wind, Wasser und Sonne anstelle der weiteren staatlichen Förderung von Kohle- oder Kernenergie.
  • Oder schauen wir in das Szenario der Friedensbewegung: „Sicherheit neu denken“ mit einem Abrüstungs- und Entwicklungsprogramm für eine zivile Außen- und Sicherheitspolitik, welches genau an unserer aktuellen bundes- und weltpolitischen Gesetzeslage anknüpft und für die nächsten zwei Jahrzehnte fortgeschrieben ist.
  • Oder nehmen wir uns die Programme der Friedensbildungseinrichtungen vor und sehen, wie im Friedensbildungswerk Köln z. B. in „Gewaltfreier Kommunikation“ und „Mediation“ weitergebildet wird oder auch im „forum Ziviler Friedensdienst“ in Köln-Ehrenfeld Friedensarbeiter*innen für die zivile Konfliktlösung in Krisengebieten ausgebildet und in zum Teil militärisch umkämpften Krisenregionen der Welt eingesetzt sind – übrigens gefördert mit den Mitteln des Entwicklungshilfeministeriums.
  • Oder hören wir auf die eindeutigen Hinweise von zivilen Hilfsorganisationen, wie z. B. „Medico international“, von denen aktuell jetzt einige nach dem Abzug der fremden Militärs in Afghanistan bleiben. Sie hatten schon in den letzten zwanzig Jahren wiederholt darauf hingewiesen, dass sie bei Abwesenheit von Militärs besser arbeiten können, als unter deren angeblichem Schutz.
  • Und Teile der Gewerkschaften, der Friedensbewegung und der Klimabewegung beraten gemeinsam über Konversions-, also Umwandlungsprojekte, zu ziviler Produktion oder zur Verkehrswende.

Zusammengefasst können wir feststellen:

Ein Mann in pinkem Hemd und Jeans spricht vor einem weißen Transparent mit der Aufschrift "Gesundheit ist keine Ware". Umstehende klatschen.

Michael Sünner bei der Veranstaltung „Gesundheit ist keine Ware“ am 4.9.2021 auf dem Rudolfplatz, Köln. Foto: Stefanie Intveen

Eine nachhaltige gesunde und friedliche Entwicklung ist nicht nur möglich, sondern hat längst begonnen, sowohl im ganzheitlichen Denken und Handeln für Gesundheit, als auch für ein gewaltfreies Zusammenleben der Menschen mit ziviler Konfliktlösung. Es geht darum, diese Entwicklung jetzt aktuell zu beschleunigen, indem wir das „Weiter So“ und „Wir Schaffen Das Schon“ der Regierung ersetzen durch grundsätzliche Veränderungen und einen Politikwechsel.

Wir können nicht nur wählen gehen, sondern in die Gestaltung von Politik eingreifen!

Ich danke dafür, diese Aspekte hier einbringen zu können, und bin gespannt auf eine interessante Diskussion mit den Bundestagskandidat*innen.


Michael Sünner ist einer der Sprecher*innen der DFG-VK Gruppe Köln. Er ist Lehrer für Pflegeberufe und hat 43 Jahre in verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens  gearbeitet.

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