Rundbrief von Abed Schokry zur Lage in Gaza vom 26.09.25

Prof. Dr. Abed Schokry stammt aus Gaza und lebt seit 1992 in Deutschland. Am 26. September 25 hat er einen aktuellen Rundbrief zur Lage in Gaza veröffentlicht, den wir an dieser Stelle abdrucken:

Bonn/ Gaza am 26/09/2025

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und liebe Freunde,

mir fehlen die Wörter und die Worte, um in Worten zu beschreiben, wie es mir/uns geht und wie es meiner Familie in Gaza-Stadt geht. Das ist auch der Grund dafür, dass ich seit Anfang August keine neue Rundmail gesendet habe.

  • Meine älteste Tochter
  • Kosten für die Flucht vom Norden in den Süden
  • Die erneute Vertreibung
  • Lage aktuell (heute)
  • Israelische Luftangriffe gegen Katar
  • Wie geht es weiter?

Meine älteste Tochter

Meiner ältesten Tochter in Kairo geht es soweit gut, wir vermissen sie sehr und sie fehlt ns. Vor einigen Tagen hatte sie leider einen Verkehrsunfall, ein Auto ist über ihren linken Fuß gefahren. Auf den Straßen in Kairo ist es sehr gefährlich, es passiert sehr oft etwas. Wir sind froh, dass sie keine große Verletzung erlitten hat und hoffen, dass es ihr bald wieder gut gehen wird.
Die Situation des Wartens in Kairo ist aber weder für sie noch für uns zu ertragen. Da sie nicht nach Deutschland zu ihrer Familie kommen darf, weil sie kein Visum bekommt, wird sie wahrscheinlich in nächster Zeit nach Pakistan fliegen, wo sie ihr Medizinstudium aufgrund eines Stipendiums von Pakistan auf Englisch fortsetzen kann und wird.

Von uns in Bonn gibt es nicht allzu viel Neues zu berichten. Die Kinder gehen in die Schule, was nach den Sommerferien eine besondere Herausforderung für sie ist, da sie jetzt in allen Fächern am „normalen“ Unterricht auf Deutsch teilnehmen.

Kosten für die Flucht

Auf den Straßen, die sich vom Norden Gazas bis in den Süden erstrecken, laufen Tausende barfuß und erschöpft und tragen die Überreste ihres Lebens auf ihren Schultern. Blasse Gesichter, Kinder, die vor Durst und Hunger weinen, ältere Menschen, die sich auf ihre Stöcke stützen, und Mütter, die ihre müden Füße schleppen, die Augen voller Tränen. So sieht es aus.
Der israelische TV-Kanal 12 gibt an, wie viel Geld eine Familie für die Vertreibung aus Gaza Stadt in den Süden aufbringen muss.
Die Gesamtkosten für erzwungene Flucht von Gaza-Stadt in den Süden beträgt ca. 6.200 Dollar.

  • Lkw-Transport: 1500-2000 Dollar
  • Anmietung eines Grundstücks: etwa 500 Dollar pro Monat.
  • Anmietung einer größeren Wohnung: etwa 2.000 Dollar pro Monat.
  • Wasserbehälter: ein Behälter für Wasser (1.000 Liter): 300 Dollar
  • Bau einer Toilette: 500 Dollar.

Der Lkw-Transport muss von den Menschen selbst organisiert werden. Es ist keineswegs einfach, jemanden zu finden, der den Transport übernimmt. Meist sind es Privatpersonen, die irgendwie noch ein halbwegs funktionsfähiges Fahrzeug besitzen und die vor allem auch genügend Brennstoff für die Fahrt aufbringen können.
Diejenigen, die im Süden irgendwo noch ein privates Grundstück haben, vermieten einen Platz, wo ein einfaches Zelt aufgestellt werden kann. Neben dem Zelt müssen Behälter für Leitungs- und Trinkwasser aufgestellt werden. Und schließlich wird eine provisorische Toilette gebaut.
Meist teilen sich mehrere Familien die Kosten, da sie für eine einzelne Familie unerschwinglich sind. Auch meine Familie, die aus Gaza-Stadt fliehen musste, lebt unter diesen Umständen, sie hat es mir so berichtet.
Wie man auch hier in den Berichten aus Gaza sehen kann, gibt es allerdings auch viele Menschen, die sich nicht den „Luxus“ eines Lkw Transports leisten können und erst recht nicht die Anmietung eines Stücks Land, um sich ganz und gar provisorisch irgendwo niederzulassen. Sie gehen zu Fuß und transportieren das Nötigste. Wenn sie „Glück“ haben, finden sie einen Eselkarren als Transportmittel.

Die immer wieder erneute Vertreibung
Diese „erneute“ Vertreibung ist kein normaler Umzug von einem Ort zum anderen, sondern eine Reise der Entwurzelung. Es ist eine unbeschreibliche humanitäre Situation, in der die Straße zu einem Meer des Schmerzes wird, in dem sich die Tränen der Kinder mit dem Schweigen der unterdrückten Männer vermischen und in dem mit jedem Schritt ins Unbekannte die Hoffnung, dass es besser wird, stirbt. Die wiederholten Vertreibungen sind eine von Menschen gemachte Katastrophe für jeden einzelnen Palästinenser, für Männer, Frauen und Kinder.
Wir sind ein Volk, das nach jahrzehntelanger Unterdrückung, das auch jetzt trotz all des Leids nicht aufgibt, sondern nie auf seine Rechte verzichten wird, wie lang der Weg auch sein mag.
Die Welt weiß, dass den Menschen in Gaza und auch in der Westbank Unrecht getan wird, nicht einfach „nur“ Unrecht, sondern dass versucht wird, uns endgültig aus unserem Land auf grausame Weise zu vertreiben, um Platz zu machen für andere, die sich breit machen wollen.
Ich werde niemals verstehen, warum die Welt, warum die Politiker und Politikerinnen, die Einfluss haben, dennoch schweigen und dem Unrecht nur zuschauen, ohne einzugreifen. Das ist sehr unerträglich.

Lage aktuell (heute)
Gaza wird nicht in der Vorstellung oder in der Rhetorik ausgelöscht, sondern tatsächlich jeden Tag vor unseren Augen und Ohren. Jeder Morgen bringt viele Todesopfer, viele Verletzte (so auch die Kinder eines Bruders von mir, die gestern durch einen israelischen Luftangriff verletzt wurden, während sie in dem Zelt in Deir Elbalah waren), größere Zerstörung, und jede Nacht werden Dutzende Häuser durch das Feuer der Bombardierungen ausgelöscht. So geschah es mit den Wohnungen und Häusern fast aller meiner Geschwister. Ich weiß auch nicht, ob das Haus, in dem unsere Wohnung liegt, noch steht.

Es gibt keinen sicheren Ort, kein Dach, das Schutz bietet, keine Hand, die sich den Menschen in Gaza entgegenstreckt und diesen langsamen Tod verhindert. Das ist die nackte Realität, ungeschönt durch Erklärungen oder Versprechen von Hilfe. Gaza wird absichtlich getötet, nicht nur durch Hunger, nicht nur durch Bombardierungen, sondern durch einen umfassenden Plan, der darauf abzielt, die Menschen aus ihrem Land zu vertreiben, damit keine Spur der palästinensischen Existenz zurückbleibt.
Was hier geschieht, ist kein vorübergehender Krieg oder eine begrenzte Militäraktion, sondern vielmehr ein systematischer Plan zur Auslöschung, weil Hilfe zum Mittel der Erpressung wird, weil Wasser, Medikamente und Lebensmittel zur Verhandlungstaktik gehören. Die Menschen in Gaza wissen nicht, ob sie in Gaza-Stadt bleiben oder gehen sollen. Denn wenn sie bleiben, riskieren sie, getötet zu werden, und wenn sie sich in das Unbekannte begeben, dann gibt es auch keine Garantie, dass sie nicht angegriffen werden, denn es gibt im ganzen Gazastreifen keine sicheren Zonen, wie die israelische Regierung immer propagiert. Das Ziel der israelischen Armee besteht darin, Gaza zu entvölkern und es in eine „Riviera des Nahen Ostens“ ohne ihre angestammte Bevölkerung zu verwandeln. Die Rolle der USA ist hier weder versteckt noch zweitrangig, sondern die USA sind direkte Partner dieses Blutvergießens.
Trumps Drohungen bis hin zu den Besuchen seines Außenministers haben alle der Besatzung grünes Licht gegeben, das Massaker fortzusetzen. Die militärische und politische Unterstützung geht unvermindert weiter und die westliche Welt begnügt sich mit leeren Versprechungen und Lippenbekenntnissen. Was die Vereinten Nationen angeht, so sind sie nicht einmal in der Lage, einen sicheren Transportweg für Lebensmittel zu gewährleisten. Dieses Schweigen ist keine Neutralität, sondern tatsächliche Mittäterschaft an dem Verbrechen, da es den Mördern Immunität verschafft, wodurch die Opfer der Zerstörung und dem Hunger ausgeliefert sind.
Was die arabischen und islamischen Staaten bzw. deren Positionen angeht, ist ihre Solidarität ein Echo in der Leere geblieben, das den Hungrigen weder Brot noch den Kranken Medizin und den Kindern Schutz bringt.
Angesichts dieses totalen Zusammenbruchs der Infrastruktur, der Krankenhäuser, die zu Friedhöfen werden und angesichts der ausgehungerten Kinder und mit Blick auf die Tatsache, dass Häuser dem Erdboden gleichgemacht werden, gibt es keinen Grund mehr zu schweigen. Die moralische und humanitäre Pflicht gebietet es, diesen Ausnahmezustand der Belagerung zu beenden, die Worte in Taten umzusetzen und den Zivilisten echten Schutz zu gewähren. Von „Wiederaufbau nach dem Krieg” zu sprechen, während das Blutvergießen weitergeht, ist nichts als eine Illusion, die die Ohnmacht beschönigt und die Katastrophe hinauszögert.
Heute steht die Menschheit vor einem entscheidenden Moment, einer Bewährungsprobe für das globale Gewissen und die Fähigkeit der arabischen und islamischen Welt, über bloße Erklärungen hinaus zu handeln. Werden die Großmächte eingreifen, um diese Vernichtung zu stoppen und sichere Passagen durchzusetzen? Wird der Papst handeln? Vielleicht zusammen mit Juden und Jüdinnen und mit Muslimen und Musliminnen, die sich für den Frieden einsetzen?
Oder wird Gaza im Rahmen eines groß angelegten Vertreibungsplans langsam verschwinden?

Die Antwort darauf wird nicht nur über das Schicksal Gazas entscheiden, sondern auch über das Schicksal der gesamten Region, über die Menschenrechte und das Völkerrecht, von denen nur Worte übriggeblieben sind.
Wie lange wird das Versagen der Weltgemeinschaft noch dauern? Wie lange wird unser Schrei unerhört bleiben? Was ist mit der Würde des Menschen??? Wird sie auch unter den Trümmern begraben? Trotz seiner Wunden schreit Gaza: Wir sind keine Zahlen oder vorübergehende Opfer, wir sind ein Volk, das frei und in Frieden auf seinem Land leben will, und wir werden nicht schweigen, bis unsere Rufe nach Freiheit, Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit erhört werden und in Taten umgesetzt werden.

Israelische Luftangriffe gegen Katar

Ich verstehe nichts von Politik und frage mich, ob der israelische Luftangriff ein kluger Schachzug war. Ein Land, das gerade zwischen den Parteien vermittelt und mit den Betroffenen verhandelt, was im Auftrag von Israel selbst als auch der USA geschieht. Egal, wie ich es drehe und betrachte, komme ich zum gleichen Ergebnis, es war kein guter Schachzug.

Wie geht es weiter?

Wenn ich es wüsste, so würde ich das sofort hier schreiben. Ich weiß aber, dass ohne Druck von außen dieser „WAHNSINN nicht gestoppt wird. Die USA haben nun zum sechsten Mal ihr Veto-Recht eingesetzt, damit der Krieg nicht beendet wird. Wo bleibt die UNO? Ich weiß nicht, was noch geschehen muss, um endlich Maßnahmen zu ergreifen, damit dieser Alptraum endet. Es gibt den neuen Plan vom U.S:
Präsidenten, Trump Aber es ist noch nicht alles klar. In der Hoffnung, dass es bald dazu kommt, verbleibe ich für heute

mit traurigen Grüßen

Abed Schokry

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