Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete antworten auf Fragen zum Bundeswehreinsatz in Syrien

Kölner Friedensbewegte hatten am 2. 3. 2016 sämtliche Kölner Bundestagsabgeordnete aller Parteien zu ihrer Abstimmung über den Bundeswehreinsatz in Syrien am 4. 12. 2015 befragt: AK Geopolitik Frieden-a-MdBs_Genehmigung BW-Einsatz 20151204.

Die SPD-Bundestagsabgeordneten Martin Dörman, Prof. Dr. Karl Lauterbach, Dr. Rolf Mützenich und Elfi Scho-Antwerpes haben auf diese Fragen in einem Brief vom 17. 3. 2016 – Kölner MdBs SPD_160317_Antworten auf Friedensinitiative wegen Syrien-Einsatz – wie folgt geantwortet:

Sehr geehrte Frau Intveen,
sehr geehrter Herr Küsters,
sehr geehrter Herr Sünner,
sehr geehrter Herr Fuchs,
sehr geehrte Frau Pineau,
vielen Dank für Ihre Mail vom 2. März zu unserer Entscheidung am 04.12.2015 über den Einsatz der Bundeswehr im „Kampf gegen den Terrorismus“. Anbei erhalten Sie die Antworten auf Ihre Fragen.
  1. Der Zweck des Bundeswehreinsatzes besteht gemäß Antrag in dem „Kampf gegen den Terrorismus“. Inwiefern haben Sie die Erfahrungen mit dem „War on terror“, der 2001 von den USA erklärt wurde, in Ihre Entscheidung einfließen lassen?
Oberste Priorität hat die diplomatische und politische Lösung des syrischen Bürgerkriegs unter Federführung der Vereinten Nationen. Hierauf konzentriert sich deutsche Außen- und Sicherheitspolitik – hierfür engagiert sich die Bundesregierung und in besonderer Weise der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Es gibt durchaus Parallelen zwischen den Anschlägen des 11. September 2001 und den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris, wenngleich beide Ereignisse und die Reaktionen in ihrem jeweiligen Kontext gesehen werden müssen. Beide galten nicht nur den USA – respektive Frankreich – sondern allen, die Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität und unsere Art zu leben verwirklichen wollen. Deshalb ist jetzt – wie damals – auch die Solidarität aller Europäer gefordert. Es gibt aber auch Unterschiede – vor allem in der Dimension.
Frankreichs Präsident Hollande hat Deutschland mit Bezug auf Europäisches Recht gebeten, sich auch mit militärischen Mitteln der internationalen Allianz von insgesamt 64 Staaten in ihrem Kampf gegen den IS anzuschließen. Nach der Bitte des französischen Präsidenten hat die Bundesregierung das Angebot unterbreitet, die internationale Koalition gegen den IS-Terror mit einem Beitrag im Bereich Aufklärung und Logistik zu verstärken. Die SPD-Bundestagfraktion unterstützt dieses Angebot. Wir treffen diese schwierige Entscheidung mit der Einsicht: Terrorismus lässt sich nicht allein mit militärischen Mitteln besiegen. Aber um die Ausbreitung des IS und seines Terrors zu stoppen, sind derzeit alle Instrumente staatlichen Handelns notwendig. Für uns steht fest: Der Einsatz von militärischen Mitteln muss sich einbetten in eine sinnvolle Gesamtstrategie gegen den IS, wie den in Wien begonnenen Prozess für eine politische Regelung des syrischen Bürgerkriegs unter Federführung der Vereinten Nationen. Auf diese Maxime konzentriert sich deutsche Außen- und Sicherheitspolitik. Auch sind alle Maßnahmen zu ergreifen, damit der „IS“ wirtschaftlich isoliert wird und seine Finanzquellen versiegen. Darüber hinaus müssen wir einen angemessenen Beitrag leisten, um die humanitäre Lage in der von Bürgerkrieg und IS-Terror betroffenen Region zu verbessern. Wir sind überzeugt: Das Mandat erfolgt auf solider rechtlicher und völkerrechtlicher Grundlage. Nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen besitzt Frankreich das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung, und das deutsche Grundgesetz erlaubt in Art. 24 Abs. 2 den Einsatz von deutschen Streitkräften im Rahmen und nach den Regeln eines Systems kollektiver Sicherheit. Der VN-Sicherheitsrat hat darüber hinaus in seiner Resolution 2249 (2015) klargestellt: Der IS ist eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit weltweit und die Staatengemeinschaft ist aufgerufen, den IS in seinen Aktivitäten und Territorien zurückzudrängen. Unser militärischer Beistand für Frankreich folgt damit einer klaren Aufforderung des VN-Sicherheitsrates.
Der „Islamische Staat“ bedroht im Übrigen die Werte muslimischer Gemeinschaften ebenso wie die der westlichen Welt. Dies kommt auch in den Resolutionen des VN-Sicherheitsrates deutlich zum Ausdruck. Eine Rhetorik, die den Kampf gegen den „IS“ als einen Kampf des „Westens“ gegen „die Muslime“ darzustellen versucht, geht deshalb auch an den Realitäten vorbei. Auch die islamischen Staaten der Region sind aktiv im Kampf gegen den „IS“ engagiert. Ebenso müssen die in der Resolution aufgeführten Maßnahmen zur Unterbindung der Finanzierung des Terrorismus konsequent und von allen Staaten angewendet werden. Der illegale Verkauf von Öl und anderen Ressourcen sowie der ungehinderte Finanzzufluss an den „IS“ – oftmals durch staatliche Institutionen geduldet oder gar organisiert – muss mit allen Mitteln gestoppt werden.
  1. Inwiefern sind die durch die Bundeswehr zu bekämpfenden Gegner identifiziert, bzw. identifizierbar? Welche identifizierbaren syrischen Gruppen kämpfen auf der Seite der Bundeswehr?
Die Bundeswehr kämpft nicht in Syrien. Die Hauptgegner sind der Islamische Staat und die Al Nusra-Brigaden. Russland wiederum hat auf Seiten des Assad-Regimes vor allem die syrische Opposition angegriffen und bombardiert. Die Türkei wiederum bekämpft die syrischen Kurden.
Deutschland unterstützt die Anti-IS-Koalition mit Aufklärung (via Flüge und Satellit), Logistik (Betankung in der Luft), Begleitschutz durch eine Fregatte für den französischen Flugzeugträger „Charles de Gaulle” sowie militärische Beratung in Stäben und Hauptquartieren. Es beteiligt sich zudem an der Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte. Die Ausbildungsunterstützung erfolgt weiterhin auf Bitten und im Einverständnis mit der Regierung des Irak sowie der Regierung der Region Kurdistan-Irak. Sie findet im Rahmen und nach Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes als Teil der internationalen Anstrengung im Kampf gegen die Terrororganisation „IS“ statt. Deutschland folgt hiermit verschiedenen Aufforderungen des UN-Sicherheitsrates. Die militärischen Ausbildungslehrgänge sollen u.a. auf Bereiche wie Sanitätswesen, Logistik und ABC-Abwehr weiterentwickelt werden. Die militärischen Unterstützungsmaßnahmen bleiben eingebettet in einen ganzheitlichen politischen Ansatz. Hierzu gehören humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Die Mandatsobergrenze beträgt 150 Soldatinnen und Soldaten. Der Einsatz ist bis zum 31. Januar 2017 befristet.
Die Gegner werden durch Aufklärung identifiziert. Deutschland unterstützt diese unmittelbar durch die Bereitstellung von Aufklärungsmitteln (insbesondere Aufklärungsflugzeuge vom Typ RECCE Tornado). So können auch grenzüberschreitende Bewegungen von „IS“-Kämpfern erkannt sowie die tatsächliche Größe des Operations- und Einflussgebietes der Terrororganisation „IS“ aufgeklärt werden.
  1. Ulrich Scholz, Oberstleutnant und NATO-Einsatzplaner a. D., sagte am 26.11.2015 in der Tagesschau: „(Der IS) ist kein Land, das eine Infrastruktur hat. Das heißt, es gibt keine Brücken, Fabriken, Flugplätze und so weiter, die man zerstören könnte, die man dann auch fotografieren könnte, sondern wir haben einen Gegner, der sich wie die Bevölkerung bewegt, und in dem Sinne halte ich die Entsendung dieser Recce-Tornados taktisch gesehen für recht sinnlos.“[i] Stimmen Sie dieser militärischen Ein­schätzung zu? In welcher Hinsicht hat sie Ihre Entscheidung beeinflusst?
Nein, dieser Einschätzung stimmen wir nicht zu. Der Einsatz hat zwar zweifelsohne auch eine symbolische Bedeutung, als Geste der Solidarität mit Frankreich, er stellt aber auch eine konkrete Waffenhilfe im Kampf gegen den „IS“ dar.
Mit dem „RecceLite“ können Aufklärungsergebnisse in hoher Qualität geliefert und besser ausgewertet werden. Darüber hinaus ist eine Echtzeitübertragung der Aufklärungsergebnisse im Flug an die Bodenstation möglich. „RecceLite“ ist in der Lage, hochauflösendes digitales Bildmaterial mit Hilfe von Infrarot- und optischen Sensoren aus niedrigen und mittleren Höhen zu sammeln. Die Recce-Tornados können deshalb für die Aufklärung von Zielen für spätere Luftangriffe einen wichtigen Beitrag leisten. Aus sicherer Höhe können sensible Kameras hochauflösende Fotos und Infrarot-Bilder in einem sehr weiten Spektrum aufnehmen. Per Datenlink gehen die Daten dann live an die Bodenstation. Zudem sind die Jets mit weiteren Sensoren ausgestattet, die die Strahlung zum Beispiel von gegnerischen Radarstellungen oder anderem militärischem Gerät auffangen und diese mit Positionsdaten als Ziele für spätere Angriffe markieren können. Deutschland wertet die Ergebnisse des Tornado-Flugs zunächst selbst aus. Anschließend geben die Bundeswehr-Soldaten die gewonnenen Daten an die Luftstreitkräfte der Koalition weiter.
Es geht aber nicht nur darum, Ziele zu erkennen. Genauso wichtig ist es, Schulen, Moscheen, Krankenhäuser und andere Gebäude zu identifizieren, die auf keinen Fall getroffen werden sollen. Solche „Kollateralschäden“ haben in Afghanistan fürchterliche Verheerungen angerichtet – und sollen vermieden werden.
  1. Welcher Zustand sollte erreicht werden, damit der Einsatz der Bundeswehr wieder be­endet werden kann?
Es ist fast genau fünf Jahre her, dass der friedliche Aufstand gegen das Assad-Regime begann. Inzwischen sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen über 250.000 Menschen getötet worden, allein 55 000 im vergangenen Jahr. Der anfänglich durchgehend friedlich Protest der Menschen gegen die Willkür des Assad-Regimes, auf den das Regime mit ausschließlich militärischen Mitteln reagierte, ist zu einem komplizierten Konflikt geworden, in dem sich nicht mehr nur Assad und seine Gegner bekämpfen, sondern auch Iran und die arabischen Golfstaaten, in dem sich Sunniten und Schiiten bekriegen, in dem Russland seine Weltmachtambitionen auslebt und Amerika sich von der Region zunehmend abwendet.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich „einen Zustand“ zu beschreiben, an der Einsatz der Bundeswehr beendet werden kann. Ich halte dies im Übrigen auch für einen narzisstischen Tunnelblick. Zunächst geht darum, dass der fragile Waffenstillstand hält und das Morden endet. Für dieses Ziel arbeitet Außenminister Steinmeier unermüdlich in Wien, München und Genf. Und hier gibt es auch erste Fortschritte. Die Hauptaufgabe bleibt es, den Bürgerkrieg zu beenden und eine stabile Nachkriegsordnung herzustellen, bei der Wert auf Good Governance gelegt wird.
Vonnöten sind strategische Geduld und ein enormes Durchhalte- und Frustrationsvermögen, um die Verhandlungen in Genf dauerhaft fortzuführen. Zudem wird der Westen politische, finanzielle und auch militärische Ressourcen zur Verfügung stellen müssen, die wesentlich größer und langfristiger orientiert sind als bisher. Ziel des Westens muss es deshalb sein, im Nahen und Mittleren Osten den Aufbau legitimer und funktionierender staatlicher Strukturen zu unterstützen. Und er sollte sich von der „Peter Scholl-Latour-Vorstellung“ verabschieden, die religiös und ethnisch heterogenen Staaten des Nahen Ostens ließen sich nur mit der harten Hand eines Diktators oder eines korrupten Herrscherhauses führen. Wohin dies führt, haben wir an den Regimen von Saddam Hussein, Assad und den arabischen Monarchien gesehen. Diese Aufgabe wird voraussichtlich Jahrzehnte in Anspruch nehmen und immer wieder durch Rückschläge gekennzeichnet und bedroht sein. Denn die Alternative des Nahen und Mittleren Ostens heißt nicht sunnitischer oder schiitischer Islam, sondern Unterdrückung oder Selbstbestimmung.
  1. Gemäß Aussage des Verteidigungspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfrak­tion Rainer Arnold vom 22.1.2016 im NDR-Interview[ii] wird die Bundeswehr unter US-amerikanischer Kommandostruktur (von Florida über Katar und Kuweit) einge­setzt. Wie stehen Sie dazu, dass die USA im Antrag der Bundesregierung gar nicht er­wähnt wird?
In der Tat werden für den Einsatz Kommando- und Führungsstrukturen der NATO genutzt, die in erster Linie von den USA zur Verfügung gestellt werden. Ganz oben steht das US-amerikanische Hauptquartier CENTCOM in Tampa (Florida), das die gesamte Operation der internationalen Koalition koordiniert. Darunter gibt es das Hauptquartier der Koalition in Kuwait, das auch die Marine-Einsätze steuert. Die Luftwaffenbasis in Al Udeid (Katar) koordiniert die Luftstreitkräfte. Von dort aus werden die Aufträge an die Tornados erteilt. In diesen Stab sind auch deutsche Soldaten integriert.
Die USA sind im Antrag nicht erwähnt, weil dieser Antrag sich auf die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates und nicht auf die der USA bezieht. Denn dieser Einsatz ist völkerrechtlich legitimiert. Deutschland unterstützt Frankreich, den Irak und andere Länder im Kampf gegen den IS auf Grundlage des Rechts der kollektiven Selbstverteidigung, wie es in Artikel 51 der VN-Charta zum Ausdruck gebracht wird. In mehreren Resolutionen hat der VN-Sicherheitsrat festgestellt, dass der IS weltweit eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit ist – unter anderem in der Resolution 2249 vom 20. November 2015. Darin hat der Sicherheitsrat nach den Anschlägen von Paris die Staatengemeinschaft aufgerufen, „alle notwendigen Maßnahmen“ gegen diese Bedrohung zu ergreifen. Ebenfalls nach den Anschlägen von Paris hat sich Frankreich als erster Mitgliedstaat der EU auf die Beistandsklausel in Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages berufen.
  1. Im Regierungsantrag wurde indirekt angekündigt, dass die Bundeswehr ohne Erlaub­nis der syrischen Regierung in Syrien eingesetzt werden könnte: „In diesem Zusammen­hang werden auch militärische Maßnahmen auf syrischem Gebiet durchge­führt, da die syrische Regierung nicht in der Lage und/oder nicht willens ist, die von ihrem Territorium ausgehenden Angriffe durch den IS zu unterbin­den.“ Wir vermuten, dass die Frage, ob die syrische Regierung die IS-Angriffe nicht unterbinden kann oder nicht unterbinden will, von Bedeutung ist. Welche Rolle hat bei Ihrer Entscheidung gespielt, dass diese Frage im Antrag unbeantwortet bleibt?
Keine.
  1. Präsident Bashar al-Assad wurde im Antrag nicht thematisiert. Am 16.12.2015 sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag: „Es geht darum, den Krieg in Syrien zu beenden, und zwar ohne Assad; denn wir dürfen nie vergessen, dass die große Mehrheit der Syrer vor Assad und seinen Fassbomben flieht.“[iii] Wie stehen Sie dazu? Inwiefern ist die hier­mit durch die Bundesregierung formulierte Absicht, Präsident Assad und somit die syri­sche Regierung zu stürzen, durch das Mandat des Deutschen Bundestages ge­deckt, welches die Person Assad nicht erwähnt?
Assad hat sich schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht. Er gehört vor den Internationalen Strafgerichtshof. Viele Völkerrechtler vertreten die Auffassung, dass Assad längst die Rechte eines Staatsoberhaupts verwirkt hat. Dass er nicht der einzige auf dieser Welt ist, macht die Sache um nichts besser. Weite Teile des Landes befinden sich unter Kontrolle des sogenannten „Islamischen Staates“, der in seinem Herrschaftsgebiet ein Terrorregime etabliert hat und von dort aus Anschläge in der Region und darüber hinaus organisiert. Die jüngsten Attentate von Ankara, Beirut, Tunis, auf dem Sinai und in Paris ziehen eine Blutspur vom Nahen und Mittleren Osten bis nach Europa. Assad verfolgt und mordet – unterstützt von russischen und iranischen Verbänden – systematisch die eigene Bevölkerung.
Bisher ist weder in Ansätzen klar, wie lang eine Übergangsphase mit Assad an der Macht sein wird, noch, wann es zu Wahlen kommt und ob Oppositionelle in eine Übergangsregierung einziehen können, geschweige denn, wie die Sunniten dauerhaft in Syrien integriert werden können.
Erster Baustein eines Lösungsplans müssen umfassende Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung sein. Dazu gehören Hilfslieferungen in die von Regierungstruppen eingeschlossenen Gebiete, die von akuter Hungersnot betroffen sind. Dazu gehört aber auch eine mehrfach geforderte „No-Bomb-Zone“. Diese Forderung richtet sich vor allem an die syrischen Regierungstruppen, die mit dem Abwurf von Fassbomben über Wohngebieten für den Großteil der Toten unter den Zivilisten und für die größte Fluchtbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs verantwortlich sind. Sie richtet sich aber auch an Moskau, das ebenfalls wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt. Ein „Exil für Assad“ muss nicht zu den ersten Forderungen in den Genfer Gesprächen gehören. Aber mit Assad wird es auf Dauer keinen beständigen Frieden geben – zu tief sind die Wunden, die er geschlagen hat.
  1. Wurde im Deutschen Bundestag und seinen Gremien der Stand der Ermittlungen zu dem Giftgasangriff auf einen Vorort von Damaskus vom 21.8.2013 geklärt? Das Ver­brechen war ein Schlüsselereignis in der Eskalationsspirale, wurde von der US-Regie­rung Präsident Assad angelastet und hätte 2013 beinahe einen bereits vorbereite­ten militärischen Angriff der USA gegen Syrien ausgelöst. Offenbar gibt es bis heute keine Beweise für eine (Mit-)Schuld der syrischen Regierung. Dagegen lie­gen allerdings Verdachtsmomente aus Gerichtsverfahren in der Türkei vor, die auf eine (Mit-)Schuld von Kräften aus der Türkei weisen.[iv] Welche nichtmilitärischen Maßnah­men zur Unterstützung einer Beendigung des Kriegs in Syrien könnte die Bundes­regierung in diesem Zusammenhang ergreifen?
Die Rolle der Türkei ist im Syrienkrieg nicht hilfreich und angemessen. Nicht unerwähnt darf und kann dabei aber bleiben, dass die Türkei bislang über zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat und in der Lage ist, diese halbwegs menschenwürdig zu versorgen. Gleiches lässt sich für die EU leider nicht sagen.
Wer für den Giftgasangriff am 21.8.2013 verantwortlich ist, konnte bislang nicht einwandfrei geklärt werden. Ob es nun Assads Regierungstruppen oder – wie Seymour Hersh behauptet – syrische Rebellen der radikalislamistischen Al-Nusra-Front waren sei dahingestellt. Wichtiger ist, dass Deutschland sich entscheidend an der Vernichtung des bekannten syrischen Chemiewaffenpotentials beteiligt hat. Bis heute können wir nicht verstehen, warum der größte Teil der Fraktion der Linken sich der Mandatierung der Bundeswehr verweigert hat. Auch wenn Assad nicht für den Einsatz chemischer Kampfmittel  verantwortlich sein sollte, ändert dies nichts an seiner Schreckensbilanz. Beweise für die Verbrechen des Regimes gibt es in Hülle und Fülle – nicht zuletzt jene 45.000 Bilder von Folteropfern des Regimes, die ein syrischer Militärfotograf unter dem Decknamen Caesar, aus Syrien geschmuggelt hat und die beweisen, dass in den Haftanstalten des Assad-Regimes systematisch misshandelt, vergewaltigt und getötet wird. Auch der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat unter Vorsitz des deutschen Diplomaten Joachim Rücker alles unternommen, um für die spätere strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen Belege von Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sammeln.
Der zweite Teil Ihrer Frage, welche nichtmilitärischen Maßnah­men zur Unterstützung einer Beendigung des Krieges die Bundes­regierung „ergreifen könnte“, geht aus unserer Sicht von falschen Annahmen aus. Die Bundesregierung könnte nicht nur nicht-militärische Maßnahmen ergreifen, sie ergreift seit Ausbruch des Krieges in erster Linie nicht-militärische Maßnahmen zur Beendigung dieses Krieges.
Bereits im Oktober hat Außenminister Steinmeier zu einer internationalen Syrienkonferenz nach Berlin eingeladen, um einerseits die humanitäre Hilfe international zu koordinieren und andererseits, um die Vereinten Nationen mit ihrem Sonderbeauftragten de Mistura in den Fokus der Friedensbemühungen zu bringen. Beides ist gelungen! So kam es am 30. Oktober und 14. November 2015 in Wien erstmals zu einer Zusammenkunft aller regionalen Akteure unter Einschluss des Iran, Saudi-Arabiens, aber auch Russlands und der USA. Dass es gelungen ist, die genannten Länder an einen Tisch zu holen, ist auch ein Erfolg der deutschen und europäischen Diplomatie. Hier wurden die Weichen für einen Fahrplan gestellt, den Syrienkonflikt politisch zu lösen und dem Morden endlich Einhalt zu gebieten. Mit der Resolution 2254 indossierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diesen Fahrplan am 18. Dezember 2015 und es kam Ende Januar 2016 zu ersten innersyrischen Gesprächen unter Vermittlung de Misturas in Genf. Die Waffenruhe in Syrien ist brüchig, seit sie am 27.Februar in Kraft getreten ist – sie hat aber zu einem deutlichen Abflauen der Kämpfe geführt.
Der nun schon fünf Jahre andauernde Krieg in Syrien hat zu einer dramatischen humanitären Lage geführt, verschärft durch die Gebietsgewinne des „Islamischen Staates“ in Syrien und im Irak und die russischen Bombardements. Heute sind 6,6 Millionen Syrer Vertriebene in ihrem eigenen Land, im Irak gibt es 3,3 Millionen Binnenvertriebene. Die Nachbarländer der Konfliktregion, Jordanien, der Libanon und die Türkei haben über 4,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, was insbesondere die beiden erstgenannten Länder vor erhebliche wirtschaftliche und politische Herausforderungen stellt. Auch in Libyen verzeichnet der Islamische Staat besorgniserregende Geländegewinne, von dort strahlt er auch auf andere Länder der Region aus.
Die SPD-Bundestagsfraktion teilt ausdrücklich die Überzeugung der Bundesregierung, dass es eines umfassenden Ansatzes bedarf, um dem islamistischen Terrorismus nachhaltig den Boden zu entziehen. Dazu gehören vor allem die Förderung von Prozessen zur politischen Konfliktregelung, die Stabilisierung und der Wiederaufbau der von ISIS zurückeroberten und durch Bürgerkrieg in Mitleidenschaft gezogenen Gebiete. Weitere drängende Aufgaben der internationalen Staatengemeinschaft sind die Unterbindung von Finanzflüssen von ISIS, der Rekrutierung ausländischer Kämpfer und von islamistisch-terroristischer Propaganda. Notwendig sind zudem militärische Maßnahmen zur Eindämmung der ISIS-Gewaltherrschaft.
Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir bereits einen erheblichen Beitrag zur Konzeption und Umsetzung dieser Strategie geleistet: Im Rahmen der internationalen Koalition gegen ISIS etwa, hat Deutschland die Verantwortung für die Arbeitsgruppe „Stabilisierung“ übernommen und in von ISIS befreiten Gebieten im Irak zivile Stabilisierungsmaßnahmen umgesetzt. Für Libyen hat sie gegenüber den Vereinten Nationen ihre Bereitschaft erklärt, eine Führungsrolle in der Koordinierung internationaler Stabilisierungsmaßnahmen zu übernehmen. Unser Engagement zielt dabei auf die Aussöhnung zwischen Konfliktparteien und den Aufbau von legitimen staatlichen Strukturen ab.
All dies dient den Bleibe- und Lebensperspektiven der Menschen in der Region. Zur Festigung und Erhöhung dieser Hilfen haben Großbritannien, Norwegen, Kuwait, Deutschland und die UNO zur Londoner-Konferenz „Supporting Syria and the Region“ eingeladen. Dort ist es gelungen, weitere Mittel in Höhe von 9 Milliarden Euro zur Unterstützung der von Bürgerkrieg und islamistischem Terror betroffenen Staaten und ihrer unter den enormen Fluchtbewegungen leidenden Nachbarstaaten zu mobilisieren. Die Bundesregierung hat den größten finanziellen Anteil zugesagt: 1,2 Milliarden Euro sollen 2016 geleistet werden. Für das Jahr 2017 sind 1,1 Milliarden Euro zugesagt. Seit 2012 wurden Mittel in Höhe von 1,44 Milliarden Euro verausgabt.
Zudem konnten mit den wichtigsten Aufnahmeländern der Region Fortschritte in den Bereichen Beschäftigungsmöglichkeiten und Zugang zu Bildung für syrische Flüchtlinge vereinbart werden. So soll allen syrischen Kindern in Libanon und Jordanien der Schulbesuch bis zum Ende des Schuljahres 2016/17 ermöglicht werden. In Jordanien sollen 200.000, in Libanon 180.000 Arbeitsplätze für Syrer geschaffen werden Wir begrüßen, dass mit der Ernennung Joachim Rückers zum Beauftragten für die Stabilitäts-partnerschaft Mittlerer Osten der Bundesregierung die angestrebten Stabilisierungsmaßnahmen effektiv umgesetzt und eine verbesserte Zusammenarbeit der beteiligten Ressorts sichergestellt werden.
  1. Welche Überlegungen zu den Auswirkungen des Bundeswehreinsatzes auf die Innere Sicherheit Deutschlands haben bei Ihrer Entscheidung eine Rolle gespielt?
Wir sind davon überzeugt, dass unsere demokratischen und offenen Gesellschaften über Terror und Angst siegen werden. Indem wir kraftvoll und selbstbewusst unsere Vorstellung von Recht, Freiheit und Gleichheit leben. Jeder Form von Gewalt, ob von Islamisten oder Rechtsextremen, stellen wir uns entschlossen entgegen. Mit Besonnenheit und der rechtstaatlich gebotenen Härte. Einen absoluten Schutz vor Terror gibt es nicht. Aber wir sind bereit, das Notwendige zu tun, um unsere Freiheit und unsere Sicherheit zu verteidigen. Die deutschen Behörden arbeiten in der Terrorismusbekämpfung bereits sehr eng und in einem breiten Spektrum von Maßnahmen mit Frankreich zusammen. Diese enge Kooperation gilt es, auf alle EU-Staaten und darüber hinaus auszudehnen.
Wir haben in Deutschland die bestehenden Anti-Terror-Gesetze der Lage entsprechend angepasst. Wer Deutschland verlassen will, um etwa in Syrien oder im Irak terroristische Organisationen zu unterstützen, macht sich schon nach geltendem Recht strafbar. Zudem haben wir einen eigenen Straftatbestand für Terrorismusfinanzierung geschaffen. Denn um den Terror im Kern zu treffen, müssen wir versuchen, seine Finanzquellen trocken zu legen. Nun kommt es darauf an, bestehende Gesetze konsequent anzuwenden. Denn nicht neue Gesetze schaffen mehr Sicherheit, sondern konkrete Ermittlungserfolge und eine effektive Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte über nationale Grenzen hinweg. Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen setzen uns für einen starken, handlungsfähigen Staat ein, der die Sicherheit und Freiheit aller, die in Deutschland leben, bestmöglich schützt. Wir lassen nicht zu, dass Sicherheit zum Privileg derer wird, die sich privaten Schutz leisten können!
Aber Gesetze allein führen nicht zu mehr Sicherheit. Entscheidend ist deren konsequenter Vollzug. Dafür braucht es Sicherheitsbehörden, die personell und technisch gut ausgestattet sind. Die SPD hat in der Großen Koalition bereits 3.000 zusätzliche Stellen für die Bundespolizei durchgesetzt. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert Bund und Länder auf, die Personaldecke der Polizei bis 2019 massiv um insgesamt 12.000 neue Stellen zu verstärken, um 6.000 bei den Landespolizei, und um 6.000 – also um 3.000 Stellen mehr als bisher beschlossen – bei der Bundespolizei. Mit der Einrichtung eines europäischen Terrorabwehrzentrums, einer verstärkten Videoüberwachung auf neuralgischen öffentlichen Plätzen sowie verstärkten Präventivmaßnahmen gegen Extremismus setzen wir uns darüber hinaus für weitere konkrete Maßnahmen zur Stärkung der öffentlichen Sicherheit ein.
Notwendig ist, die Maßnahmen der inneren Sicherheit durch eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung zu begleiten. Denn Abgrenzung und Hass dürfen sich nicht ausbreiten und unser Land entzweien. Wir müssen verhindern, dass sich junge Menschen in Deutschland radikalisieren und anfällig werden für die Propaganda von Extremisten oder Fanatikern. Mit dem Bundeshaushalt 2016 werden wir deshalb deutlich mehr Mittel für Prävention und politische Bildung bereitstellen.
Und wir dürfen nicht zulassen, dass sich der IS-Terror zu einem „Kampf der Kulturen“ entwickelt. Nach wie vor sind die meisten Opfer des „IS“ Muslime. Die Anschläge von Paris dürfen nicht dazu instrumentalisiert werden, gegen Flüchtlinge zu hetzen und Muslime auszugrenzen. Im Gegenteil: Unsere Anstrengungen zur Integration insbesondere junger Muslime müssen gesteigert werden, um Parallelgesellschaften und Ghettobildung zu verhindern. Ebenso müssen ausländische Kämpfer daran gehindert werden, in die Kriegsgebiete ein- und auszureisen. Es ist Aufgabe des Rechtsstaates, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen vorzugehen.
  1. Inwiefern hat das Konzept der „ultima ratio“, also des Einsatzes militärischer Gewalt als letztem aller Mittel, bei Ihrer Entscheidung eine Rolle gespielt?
Der Einsatz militärischer Gewalt kann immer nur „ultima ratio“ sein. Von diesem Grundsatz haben sich alle Bundesregierungen leiten lassen. Wir sind fest davon überzeugt, dass es auch für den Syrienkonflikt letztlich nur eine politische Lösung geben kann. Der politische Prozess steht für uns weiterhin im Vordergrund. Das militärische Handeln wird in diesen politischen Prozess eingebettet sein und bleiben. Hierfür setzt sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit ganzer Kraft ein. Mit Hilfe der Vereinten Nationen und ihrem Sonderbeauftragten Staffan de Mistura soll eine politische Lösung erarbeitet werden.
Der Weg hin zu einem Frieden in Syrien ist steinig, ein wirklicher Durchbruch ist noch nicht erkennbar. Dies zeigen auch die menschenverachtenden Bombenangriffe des Assad-Regimes auf zivile Krankenhäuser im Norden Syriens.
Wir danken Ihnen für die Möglichkeit zur umfassenden Antwort und wären Ihnen dankbar, wenn Sie diese ungekürzt auf Ihrer Homepage veröffentlichen würden.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Dörmann Prof. Dr. Karl Lauterbach Dr. Rolf Mützenich Elfi Scho-Antwerpes

[i] https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-136135.html, ab Minute 1:20

[ii] http://www.ndr.de/info/Arnold-Ruf-nach-AWACS-Fliegern-war-nicht-ueberraschend,audio270314.html , ab Minute 2:50

[iii] http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Regierungserklaerung/2015/2015-12-17-regierungserklaerung.html .

[iv] Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS): Memorandum for: U.S. Secretary of State John Kerry, and Foreign Minister of Russia Sergey Lavrov, 22.12.2015: https://consortiumnews.com/2015/12/22/a-call-for-proof-on-syria-sarin-attack/


 

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Eine Antwort

  1. 10. Mai 2016

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