Joachim Schramm: Treten wir für Entspannungspolitik und eine zivile Friedensordnung in Europa ein!

Joachim Schramm, Landesgeschäftsführer der DFG-VK NRW, hielt bei der Kundgebung „Abrüsten statt Aufrüsten“ am 3.11.18 in Köln die folgende Rede.


In den nächsten Tagen wird im Bundestag über den Bundeshaushalt 2018 beraten. Viele Beobachter schockiert, dass der Militäretat – immer noch Verteidigungsetat genannt – um 11,4% auf 42,9 Mrd. Euro angehoben werden soll.

Die Debatte um diese Frage fällt in die Zeit, in der wir auch an das Ende des Ersten Weltkriegs vor Hundert Jahren am 9.  November 1918 erinnern. 17 Millionen Menschen kostete dieser Krieg das Leben. Die Erinnerung an diesen und den folgenden Zweiten Weltkrieg bietet doch genug Anschauung, um uns allen – auch den Politikern – die verheerenden Folgen von Aufrüstung und Kriegsdrohungen vor Augen zu führen. Aber „das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz“, so hat es Berthold Brecht vor 65 Jahren geschrieben.

Ein schlanker Mann mit sehr hoher Stirn spricht in ein Standmikro. Im Hintergrund Zuhörer*innen und Friedensfahnen.

Joachim Schramm, Landesgeschäftsführer der DFG-VK NRW, am 3.11.2018 in Köln. Foto: Senta Pineau.

Und so befinden wir uns fast 30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges in einer Situation, in der weltweit aufgerüstet wird, wo Atomwaffen modernisiert und neu gebaut werden und wo neue Waffensysteme wie Drohnen oder sogar ganz autonome Waffensysteme in der Entwicklung oder schon in der Anwendung sind.

Mit dem sogenannten Krieg gegen den Terror haben die USA und ihre Verbündeten den Krieg wieder ganz offen zum Mittel der Politik gemacht, einer Politik des Austausches missliebiger Regime in strategisch wichtigen Ländern. Dabei wurden Menschenrechte oder humanitäre Gründe vorgeschoben, um die wahren Motive zu verschleiern. Diesen Kriegen im Irak, in Libyen und in Afghanistan fielen Hunderttausende Menschen zum Opfer, darunter vorrangig Zivilisten. Eine ganze Region wurde destabilisiert, ein Krieg führte zum anderen, der angeblich zu bekämpfende Terror bekam neue Nahrung. Mit dem Aufkommen des IS haben wir die schrecklichsten Folgen dieser Politik erlebt, seine Bekämpfung in Syrien und im Irak hat wiederum Hunderttausende Zivilisten das Leben gekostet. Mit dem Eingreifen Russlands in Syrien und dem Konflikt um die Krim und die Ostukraine erleben wir außerdem eine Zunahme der Konfrontation zwischen der NATO und Russland.

Führt diese schlimme Entwicklung zum Umdenken in der westlichen Welt? Nein!

Weltweit wurden 2017 1,74 Billionen US$ für Rüstung ausgegeben, also 1.740 Mrd. Die Hälfte dieser Summe gaben die NATO-Staaten für ihre Armeen aus. Und als sei dies nicht genug, steht nun das Ziel der NATO im Raum, dass alle Mitgliedsstaaten ihren Anteil auf 2% ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung erhöhen sollen. 2% hört sich wenig an, aber für den Militärhaushalt Deutschlands würde das bedeuten, dass er auf bis zu 70 Mrd Euro verdoppelt werden soll, in einem Gesamthaushalt, in dem schon jetzt die Ausgaben für Waffen und Soldaten weit vor denen für Bildung, Gesundheit, Familie oder Verkehrsinfrastruktur liegen.

Während sich Deutschland ohne großes Wimpernzucken von seinen Klimaschutzzielen verabschiedet, wird in Bezug auf das Aufrüstungsziel 2% der Wirtschaftsleistung so getan, als stünde man hier gegenüber der NATO in einer unkündbaren Schuld. Nein, die Bundesregierung könnte anders, sie will es nicht! Zwei Prozent des BIP für den Rüstungsetat – das wären alleine in Deutschland weitere 30 Milliarden Euro, die im zivilen Bereich fehlen würden: für Investitionen in Bildung, Hochschulen, Schulen und Kitas, für den sozialen Wohnungsbau, für kommunale und digitale Infrastruktur, für eine gerechte und ökologische Gestaltung der Verkehrs- und Energiewende, für eine bessere Alterssicherung und mehr soziale Sicherheit.

Doch nicht nur, dass dieses Geld fehlen würde für gesellschaftlich wichtige Maßnahmen. Das Geld würde zu einem enormen Aufrüstungsschub führen. Schon jetzt liegen in den Schubladen des Verteidigungsministeriums Pläne für diese Aufrüstung. Im September legte von der Leyen einen Masterplan vor.

Heer, Luftwaffe und Marine werden künftig kräftig aufwachsen müssen,

führte sie aus. In Papieren der Bundeswehr ist von neuen U-Booten, vier Mehrzweckkampfschiffen, fünf neuen Korvetten für die Marine die Rede, ein Nachfolgemodell für den Jagdbomber Eurofighter soll auf den Weg gebracht werden und die Zahl der Artillerie – und Panzereinheiten verdoppelt werden. Das aktuelle Jammern über defektes Material ist Teil einer Kampagne, um Forderungen nach mehr Geld besser durchsetzen zu können. Schon heute ist die Bundeswehr eine moderne, einsatzfähige Armee. Nicht umsonst stellt sie zur Zeit beim NATO-Manöver in Norwegen aber auch in Afghanistan nach den USA die zweitgrößte Truppe.

Dieser offen aufgezeigte Aufrüstungskurs bringt immer mehr Menschen zum Nachdenken. Den im letzten Herbst veröffentliche Aufruf „Abrüsten statt aufrüsten“ haben bisher 120.000 Menschen unterschrieben. Lasst uns hier weitermachen, lasst uns gemeinsam dafür eintreten, dass dieser Aufrüstungskurs gestoppt wird!

Der Kalte Krieg, in dem die Menschheit jahrzehntelang am Rande der atomaren Vernichtung balancierte, wurde nicht zuletzt durch eine neue Politik der Entspannung beendet, zu der Deutschland unter dem damaligen Kanzler Willi Brandt einen wesentlichen Impuls gab. Eine immer stärker werdende Friedensbewegung brachte in den 70er und 80er Jahren in vielen Ländern die Stimmung der Bevölkerung für Abrüstung und Entspannung zum Ausdruck und setzte die Politik unter Druck. Verträge zu atomaren Abrüstung wie die SALT-Verträge führten trotz fortbestehender Feindschaft zwischen Ost und West zu einem Klima der gegenseitigen Berechenbarkeit und eines gewissen Vertrauens. Auch auf konventionellem Gebiet wurden Vereinbarungen wie der KSE-Vertrag geschlossen und führten zum Abbau von Streitkräften und Waffen auf beiden Seiten. Dieser Prozess machte es den Reformern in der Sowjetunion möglich, ihr Land zu öffnen und den Kalten Krieg zu beenden.

Heute erleben wir das genaue Gegenteil. Die NATO-Osterweiterung, der Aufbau des Raketenabwehrschirms durch den Westen, aber auch die folgende Annexion der Krim und die Einmischung in den Konflikt in der Ostukraine durch Russland führen zu einem Klima des Misstrauens und der Konfrontation. Die jüngste Ankündigung von Präsident Trump, den INF- Vertrag über die atomaren Mittelstreckenwaffen aufzukündigen, ist ein weiterer Schritt hin zu einer gefährlichen Eskalation und einer Zunahme der Kriegsgefahr. Hier müssen wir umsteuern.

Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik, und gerade Deutschland käme eine wichtige Rolle zu, hier Initiativen zu ergreifen. Deutschland wäre vorrangiges Ziel kriegerische Aktivitäten in Europa. Auf der anderen Seite ist Russland wichtiger Wirtschaftspartnern Deutschlands. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, voranzugehen, die Embargopolitik gegen Russland zu beenden, sich stark zu machen für Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen, über einen neuen Vertrag für Obergrenzen von Waffen und Truppen in Europa. Außerdem muss sie sich einsetzen für ein Fortbestehen des INF-Vertrages , da sonst ein neues atomares Wettrüsten droht. Längst fällig ist die Unterzeichung des neuen Atomwaffen-Verbotsvertrages der UNO durch Deutschland. Wir treten ein für eine umfassende europäische Friedensordnung unter Einschluss Russlands! Frieden kann nur miteinander, nicht gegeneinander gesichert werden.

Die Diskussion um die Notwendigkeit militärischer Maßnahmen aus humanitären Gründen hat viele Menschen zweifeln lassen in ihrer Ablehnung von Kriegseinsätzen. Doch die Entwicklung bei Kriegseinsätzen wie in Afghanistan oder in Libyen haben gezeigt, dass mit Krieg keine Menschenrechte geschützt oder humanitäre Katastrophen verhindert werden können. Schon seit langem sind Maßnahmen der zivilen Konfliktbearbeitung entwickelt und werden teilweise auch schon angewendet. Besonders der zivile Friedensdienst ist in Deutschland auf- und ausgebaut worden, auch mit staatlicher Unterstützung. Freiwillige Friedensfachkräfte gehen in Konfliktgebiete, um verfeindete Bevölkerungsgruppen zu versöhnen, ehemalige Kämpfer wieder in die Zivilgesellschaft zu integrieren und vieles mehr. Sie sind unterwegs auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Afrika und Lateinamerika. Freiwilligenverbände wie die Nonviolence Peaceforce bauen Strukturen auf, um Zivilisten in Konfliktregionen zum Beispiel auf den Philippinen und im Südsudan zu schützen.

Auch staatliche Instrumente wie sie im Rahmen der OSZE und der UNO vorhanden sind, zählen zum Instrumentarium der Zivilen Konfliktbearbeitung. Dazu gehören Vermittlungsdienste zwischen Konfliktparteien, die Überwachung von Waffenstillständen und vieles mehr. Selbst die Bundesregierung hatte einen Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ beschlossen, den die aktuelle GroKo jedoch in „Leitlinien Krisenprävention“ umbenannte und das Wort „zivil“ an den meisten Stellen gestrichen hat.

Die finanzielle Ausstattung der zivilen Konfliktbearbeitung ist katastrophal. 2017 betrug  zum Beispiel das Budget des Zivilen Friedensdienstes 45 Mio. Euro. Allein die Werbemaßnahmen der Bundeswehr verschlingen 35 Mio. Mit einem Bruchteil der Ausgaben für Soldaten und Waffensysteme könnte die Zivile Konfliktbearbeitung effektiv aufgebaut und eingesetzt werden. Doch stattdessen dokumentiert die Bundesregierung ihre falsche, auf das Militärische konzentrierte Außenpolitik. Wir setzen uns ein für die Stärkung der Zivilen Konfliktbearbeitung, für die Erhöhung der Mittel für deren Aufgaben sowie dafür, dass in Konflikten vorrangig solche zivilen Instrumente eingesetzt werden. Wir fordern Zivil statt Militär!

Lasst uns die aktuelle Debatte um die Erhöhung des Militäretats zum Anlass nehmen, einen Kurswechsel in unserem Land einzufordern, uns einzusetzen gegen die geplante Aufrüstung, gegen die neue Konfrontationspolitik gegen Russland, gegen ungebremste Rüstungsexporte und gegen Auslandseinsätze deutscher Soldaten.

Lasst uns eintreten für Abrüstung, für die Stärkung der Zivilen Konfliktbearbeitung, für eine neue Entspannungspolitik und den Aufbau einer zivilen Friedensordnung in Europa auf Grundlage gemeinsamer Sicherheit für alle europäischen Staaten.meergrünes Logo der Initiative "Abrüsten jetzt!" mit der Aufschrift "Abrüsten statt Aufrüsten." Das Wort Aufrüsten ist in schwarzen dünnen Großbuchstaben gedruckt und mit zwei hellen Balken durchkreuzt.

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