Politologe Ei-Ichi Kido in Köln: „Radioaktive Hinterlassenschaften der militärischen und zivilen Nukleartechnik in Japan sind verheerend“

Rede des Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Ei-Ichi Kido am 10. August 2019 auf der Kölner Feier zum Gedenken an die Opfer der Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki vor 74 Jahren.

Kurz nach der deutschen Einheit habe ich einen grünen Stadtbezirksabgeordneten in Berlin-Tiergarten kennengelernt. Er hatte initiert, die Straße, in der die japanische Botschaft heute steht, in Hiroshimastraße umzubennen. Sie hieß früher Graf-Spee-Straße. Die Umbenennung des Straßennamens bedeutet einen Sinneswandel von der Verehrung des deutschen Militarismus zur Willenserklärung für den Weltfrieden.

Ich habe dem Berliner Stadtbezirksabgeordneten gesagt:

Es ist toll, dass Sie die Hiroshimastraße eingeführt haben.

Er konterte:

Es tut mir leid, dass wir mit Nagasakistraße keinen Erfolg haben.

Da hat sich ein Schamgefühl in mir verbreitet, weil die Erinnerung der Japaner an Hiroshima und Nagasaki schon damals immer schwächer geworden war.

Seit März diesen Jahres wohne ich in Bochum. Der NRW-Aufenthalt hat mich an dieses Schamgefühl erinnert. Platz von Hiroshima in Dortmund. Rua Hiroshima in Oberhausen. Hiroshima-Nagasaki-Park hier in Köln. All das zeigt die politische Wachsamkeit, die für Demokratie notwendig ist. Aber wie ist das in Japan?

„Einzige Atombombenopfernation der Welt“ gegen UN-Atomwaffenverbotsvertrag

Ein asiatisch aussehender Herr mit kurzen schwarzen Haaren und Brille, in einem beigefarbenen Leinenhemd und sonnengelbem T-Shirt darunter spricht in ein Mikrophon. Im Hintergrund ein Schild mit einer Friedenstaube und dem Logo von ICAN, der Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Kernwaffen.

Ei-Ichi Kido am 10.8.2019 im Hiroshima-Nagasaki-Park Köln. Foto: Stefanie Intveen

Die sogenannte „einzige Atombombenopfernation der Welt“ wendet dem Atomwaffenverbotsvertrag den Rücken zu, der bei der UNO-Generalversammung im Juli 2017 mit großer Mehrheit angenommen wurde. Und das, obwohl das japanische Wort „Hibakusha“, Opfer des Einsatzes von Kernwaffen, international geworden ist.

Der japanische Ministerpräsident Shinzô Abe sagt, Japan versuche, eine Brücke zwischen Atommächten und Nichtatommächten zu bauen. Diese Stellungnahme ist reiner Betrug. Denn sein Kabinett hat am 1. April 2016 erklärt, dass die pazifistische Verfassung Japans dem Land weder Besitz noch Einsatz von Kernwaffen verbietet. Daher kann man leicht verstehen, warum Japan trotz der Atomkatastrophe in Fukushima immer noch nicht auf AKW verzichten will.

273 Kinder mit Schilddrüsenkrebs in Fukushima

Im September 2013 sagte Abe beim IOC-Treffen in Buenos Aires, dass die Situation in Fukushima unter Kontrolle sei. Zur Bewerbung Tokios um die Olympischen Sommerspiele 2020 hat er die Weltöffentlichkeit belogen. Fakt ist: wir Japaner sind völlig ratlos, wie wir mit den wachsenden Abwassertanks mit radioaktiv verseuchtem Wasser machen sollen. Inzwischen gibt es in Fukushima mindestens 273 Kinder, die Schilddrüsenkrebs haben.

Die radioaktiven Hinterlassenschaften der militärischen und zivilen Nukleartechnik sind so verheerend. Die Botschaft von „Fridays for Future“ ist klar: für ein menschengerechtes Überleben muss sofort etwas gemacht werden. Einen Schritt dahin, ein menschengerechtes Überleben zu sichern, könnte auch das Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags markieren. Dazu brauchen wir grenz- und generationsübergreifende Solidarität der Zivilgesellschaften. In diesem Sinne müssen wir gemeinsam der japanischen Regierung, der Bundesregierung und allen Regierungen, die den Vertrag noch nicht unterzeichnet haben, viel mehr Druck machen.

Ei-Ichi Kido ist ein japanischer Politikwissenschaftler, der zur Zeit als Gastdozent an der Ruhr-Universität Bochum arbeitet. Er engagiert sich gegen die Remilitarisierung Japans und hat darüber auch in deutscher Sprache publiziert. Wir bedanken uns bei ihm herzlich für die Möglichkeit, seine Rede hier veröffentlichen zu dürfen.

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