Gewerkschafterin Eva-Maria Zimmermann: „Unsicherheit in der Welt löst man nicht durch Aufrüstung!“

Rede auf der Kundgebung zum Antikriegstag am 31. August 2019 in Köln von Eva-Maria Zimmermann.
Eine junge Frau mit dunklen, langen Haaren, dunkler Brille in ärmellosem Sommerkleid hält weißes Papier in der Hand und spricht in ein Mikrophon.

Eva-Maria Zimmermann spricht für den DGB Köln zum Antikriegstag. Alter Markt, Köln, 31.8.2019. Foto: Klaus Reinhard Müller (CC BY-SA 4.0)

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens, der Abrüstung und der Demokratie,

morgen jährt sich zum 80. Mal der Tag, an dem Nazi-Deutschland Polen überfallen und damit den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hat, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Achtzig Jahre danach ist es leider mehr als aktuell, nicht nur daran zu erinnern, sondern konkret und aktiv daran zu arbeiten, dass so etwas nie wieder passiert. Wir erleben derzeit einen beispiellosen Aufrüstungswahn, brandgefährliche nukleare Machtspiele, Rechtspopulismus breitet sich überall in Europa aus, autokratische Herrscher sind auf dem Vormarsch, die Anzahl bewaffneter Konflikte weltweit steigt, siebzig Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Krieg, politischer Verfolgung, Armut und Umweltkatastrophen. Und da wir wissen, zu was blindwütiger Nationalismus, Militarismus, Ignoranz, Menschen- und Demokratiefeindlichkeit geführt haben, kann unsere Antwort als Deutscher Gewerkschaftsbund und als Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nur sein:

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, Abrüsten statt Aufrüsten!

Als Gewerkschaften ist es nicht nur unsere Aufgabe, für gute Tarifabschlüsse, gute Arbeitsbedingungen und sichere Arbeitsverhältnisse zu kämpfen. Wir haben darüber hinaus einen immens wichtigen gesellschaftspolitischen Auftrag, dem wir uns und dem auch ich persönlich mich sehr verpflichtet fühle: Wir wollen aktiv und lebendig mit dafür Sorge tragen, dass diese Gesellschaft und diese Welt von den Grundwerten des Friedens, der Demokratie, der Nachhaltigkeit, der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität getragen wird. Aus diesem Gedanken heraus hat der DGB Köln/Bonn 2017 die Kampagne #No2Percent ins Leben gerufen. Und ich bin stolz darauf sagen zu können, dass unsere Kölner Gewerkschaften dafür gesorgt haben, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund bundesweit die Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ unterstützt. Ich kann euch versprechen: Wir Gewerkschaften WAREN immer Teil der Friedensbewegung, wir SIND Teil davon und wir WERDEN es auch immer sein!

Heute darf nicht nur ein Tag der mahnenden Erinnerung sein, sondern von diesem Tag und dieser Kundgebung muss ein starkes Zeichen ausgehen, müssen konkrete Forderungen an die Politik gestellt werden. Wir dürfen niemals müde werden, diese in die Gesellschaft hineinzutragen und immer weiter ganz konsequent einzufordern.

Wenn ich mir anschaue, dass der Bund bereits jetzt 43,2 Mrd. Euro für Verteidigung ausgibt – das entspricht 1,35% des BIP – und wir diese Summe zur Erreichung des NATO-2%-Ziels im Jahre 2024 auf ca. 85 Mrd. nahezu verdoppeln müssten, dann kann ich nur mit Nachdruck an unsere DGB Forderung #No2Percent erinnern! Waffen schaffen keinen Frieden und Abschreckung löst keine Verunsicherung! Statt derartige Unsummen für Rüstung auszugeben, sollte vielmehr in bezahlbaren Wohnraum, einen günstigen, gut ausgebauten und zuverlässigen öffentlichen Nahverkehr, in die Energiewende sowie in gute Arbeit und kostenfreie Bildung für alle investiert werden. Schon jetzt fehlen Gelder für öffentliche Investitionen sowie für Soziales, und um die Aufstockung im Rüstungsetat zu finanzieren, soll weiter gekürzt werden. Wir fordern daher die Bundesregierung auf: Stoppt diesen Aufrüstungswahn, investiert in öffentliche Daseinsvorsorge, soziale Gerechtigkeit und Friedensbildung!

Als Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft stellen wir entsetzt fest, dass, selbst wenn man sich mal für einen Moment nur auf den Bildungsbereich bezieht, ein himmelschreiendes Ungleichgewicht herrscht, was die Investitionen betrifft: Schon jetzt gibt der Bund mehr als doppelt so viel für Verteidigung aus als für Bildung & Forschung. Der Anteil des Rüstungsetats am Bundeshaushalt beiträgt derzeit über 12%, der für Bildung & Forschung nur ca. 5,5%. Für 2020 sind sogar unter 5% geplant. Wer jetzt meint, wir könnten uns das ja leisten: Nein, das können wir nicht!

Wir haben viel zu wenig KiTa-Plätze. Wir haben überall marode Schulen. Die Anzahl der Schulen reicht nicht aus – allein in Köln wurden dieses Jahr ca. 1000 Schülerinnen und Schüler an Gesamtschulen abgewiesen. Es ist angeblich nicht genug Geld da, um Grundschullehrerinnen und -lehrer genauso zu bezahlen wie Kolleginnen und Kollegen von weiterführenden Schulen. Der Offene Ganztag wurde zwar eingeführt, aber keiner fühlt sich finanziell dafür zuständig. In einigen Bundesländern werden zunehmend mehr Lehrerinnen und Lehrer nur noch befristet beschäftigt. Wir schaffen es nicht, den Hochschulen eine ausreichende Grundfinanzierung zukommen zu lassen, so dass Lehre und Forschung immer mehr auf prekäre Beschäftigung setzen, ganz genauso übrigens wie in der Weiterbildung. Ja, da frage ich mich doch: Was ist denn bitte die tatsächliche Herausforderung, vor der wir stehen: Befinden wir uns denn im oder unmittelbar vor einem Krieg oder aber haben wir Millionen von Menschen in diesem Land mit Bildung zu versorgen? Wer an Bildung spart, liebe Freundinnen und Freunde, der spart am falschen Ende – und wer an Friedensbildung spart, erst recht!

Leute in sommerlicher Kleidung, viele mit Sonnenbrillen, schauen in eine Richtung.

Kundgebung zum Antikriegstag auf dem Alter Markt in Köln am 31.8.2019. Foto: Klaus Reinhard Müller (CC BY-SA 4.0)

Doch es ist nicht nur so, dass die Gelder, die in Verteidigung gehen, in anderen Bereichen fehlen. Die Rüstungslobby ist überall präsent – wir aber wollen Friedensbildung! Deshalb fordern wir als Bildungsgewerkschaft auch z.B.: Bundeswehr raus aus den Schulen! Keine Rekrutierung Minderjähriger! Schluss mit dem Werben für’s Sterben! Die Bundeswehr hat in Schulen genauso wenig verloren wie auf der Bildungsmesse! Stattdessen brauchen wir eine Förderung ziviler Konfliktprävention, auch in der Schule. Ich habe mal an einer Schule gearbeitet, in der es eine „AG Streitschlichtung“ gab – DAS ist Friedensbildung und nicht, wenn man die Bundeswehr in die Schulen schickt!

Ein anderes sehr erschreckendes Beispiel für die Auswirkungen des Aufrüstungswahns in der Bildung ist, dass am 11. Juli die Zivilklausel aus dem NRW Hochschulgesetz gestrichen wurde. Diese sollte sicherstellen, dass

Hochschulen (…) ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt [entwickeln].

Ich habe beim besten Willen KEIN VERSTÄNDNIS dafür, wie man auch nur im Entferntesten auf die Idee kommen kann, das aus einem Hochschulgesetz zu streichen. Wer damit argumentiert, die Zivilklausel beschränke die Freiheit der Forschung und Lehre, der muss sich die Frage gefallen lassen, wieso denn bitteschön Freiheit nicht auf der Basis von Demokratie, Nachhaltigkeit und Frieden gelebt werden kann. Sie KANN nicht nur, sie MUSS! Der Wind weht aber aus einer ganz anderen Richtung: In Wales wurde 2014 nämlich nicht nur das 2%-Ziel neu bekräftigt, sondern da steht schwarz auf weiß, dass mindestens (!) 20% dieser Verteidigungsausgaben in Rüstungsforschung gehen sollen. Ihr seht also, das alles hat mit Bildungspolitik NICHTS zu tun, sondern mit Lobbypolitik für die Rüstungsindustrie. Und deshalb sagen wir als GEW und DGB auch an dieser Stelle ganz entschieden: #No2Percent, Abrüstung statt Aufrüstung und zwar sofort!

Auch international engagieren wir uns friedenspolitisch: So hat die GEW Ende Juli diesen Jahres auf dem 8. Weltkongress der Bildungsinternationalen, dem Dachverband von rund vierhundert Bildungsgewerkschaften aus 170 Ländern, den Antrag „Bildung statt Bomben“ eingebracht. Darin fordern wir unter anderem eine neue internationale Abrüstungsinitiative, verschärfte Kontrollen von Waffenexporten und dass diejenigen Gelder, die durch verringerte Rüstungsausgaben eingespart werden, in Bildungs- und Sozialsysteme investiert werden. Dieser Antrag wurde einstimmig (!) verabschiedet – jetzt müssten sich unsere Staatsoberhäupter nur noch dran halten…

„Atomwaffen – ein Bombengschäft!“ Flyer bei der Kundgebung zum Antikriegstag. Foto: Klaus Reinhard Müller (CC BY-SA 4.0)

Von unserer Bundesregierung fordern wir Gewerkschaften: Deutschland muss endlich den UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen unterzeichnen, den bereits 130 Staaten weltweit unterzeichnet haben. In Zeiten, in denen die USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran aussteigt und das Abkommen mit Russland über nukleare Mittelstreckensysteme kündigt, müssen wir ein deutliches Zeichen gegen dieses nukleare Wettrüsten senden. Es ist doch ein Irrsinn sondergleichen, Waffen zu entwickeln, die in der Lage sind, sämtliches Leben auf dem Planeten auszurotten – damit muss ein für alle Mal Schluss sein! Wir fordern darüber hinaus den unmittelbaren Stopp aller Waffenexporte in Krisengebiete, an Diktaturen und autokratische Regime! Alle 14 Min. stirbt ein Mensch durch eine deutsche Waffe. Wie ist das vereinbar mit der Aussage, von deutschem Boden dürfe niemals wieder Krieg ausgehen? Das konnte mir bisher noch niemand erklären.

Die Unsicherheit, die in der Welt ist, löst man nicht durch Aufrüstung. Genauso wenig löst man sie durch Schein- und Spaltungsdebatten, wie sie die Rechtspopulisten überall auf der Welt führen. Sicherheit, im Inneren wie im Äußeren, erreicht man nur durch soziale Sicherheit. Deshalb fordern wir Gewerkschaften mit Nachdruck zivile Strategien zur Friedenssicherung, einen fairen Welthandel, das Ende ausbeuterischer Freihandelsabkommen, eine gerechte Verteilung des weltweiten Reichtums, entschlossene Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise sowie ehrliche und nachhaltige Konversionsdebatten, MIT den Beschäftigten statt über sie hinweg. Wir wollen ein Deutschland, ein Europa und eine Welt, die statt in Rüstung in ihre Menschen investiert, ins Leben statt in den Tod.

Es ist an der Zeit, dass wir Verantwortung übernehmen. Globalisierung funktioniert nicht nur in eine Richtung, sondern wir müssen erkennen, dass die reichen Industriestaaten mit ihrer Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Finanzpolitik wesentlich zum Unfrieden in der Welt beitragen. Und da muss sich auch Deutschland an die Nase fassen, und da muss sich auch die EU an die Nase fassen. Auch wir in Deutschland und Europa sorgen für Ungerechtigkeit und Unfrieden in der Welt, für Not, Ausbeutung und Flucht. Was sich seit geraumer Zeit an den EU-Außengrenzen und im Mittelmeer abspielt, das hat mit Frieden herzlich wenig zu tun.

Folgende Worte von Pia Klemp, Kapitänin der Iuventa, gehen mir nicht mehr aus dem Kopf:

Tagelang fuhr ich mit einem zweijährigen toten Kind in der Tiefkühltruhe in internationalen Gewässern auf und ab, weil kein europäisches Land ihn retten wollte, als es noch möglich war und sie uns dazu einen Hafen verwehrten. Seine Mutter war auch an Bord – lebendig. Was sage ich einer traumatisierten Frau, deren Kind in meinem Gefrierschrank liegt, über den Friedensnobelpreisträger Europäische Union?

An dieser Stelle habe ich einen ganz persönlichen Wunsch an uns alle. Bitte lasst uns niemals abstumpfen, wenn wir tagein tagaus die Bilder und Berichte in den Medien sehen von Kriegen, Flucht und Not. Lasst uns empathisch und verletzlich bleiben – denn wir alle zusammen haben es in der Hand, was aus dieser Welt wird. Frieden und Demokratie sind nicht selbstverständlich. Beides muss immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Lasst uns darum alle zusammen für eine Friedenspolitik einstehen, die den Namen verdient hat! Lasst uns laut sein gegen eine Politik der Abschottung, der Angst, der Abschreckung und der lebensgefährlichen Machtspielchen! Lasst uns alle zusammen dafür sorgen, dass die unfassbare Kraft der Solidarität wieder neu erfahrbar wird und das mit jeder Faser unseres Körpers leben. „Gemeinsam sind wir stark“ – das sagen wir Gewerkschaften immer – und das meinen wir ganz genau so wie wir es sagen.

Ich danke euch.


Eva-Maria Zimmermann ist seit dem 1. Juli 2019 Geschäftsführerin des Stadtverband Köln der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW. Sie sprach am 31.8.2019 für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Der DGB Köln hat die Kampagne #No2Percent gestartet, die vom Bundeskongress des DGB im Mai 2018 aufgegriffen wurde. Seitdem unterstützt der DGB bundesweit die inhaltsgleiche Kampagne „abrüsten statt aufrüsten“.

In Düsseldorf hatte sich Eva-Maria Zimmermann auf der Kundgebung gegen die Novellierung des Hochschulgesetzes NRW für den Erhalt der Zivilklausel darin eingesetzt.

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