Ei-Ichi Kido über Japan: „Beherrscht durch Nationalismus, Geschichtsrevisionismus und Militarisierung“

Rede auf der Kundgebung zum Antikriegstag am 31. August 2019 in Köln von Ei-Ichi Kido. Es gilt das gesprochene Wort.

In den japanischen und deutschen Gesellschaften, mit ihrer traurigen Vergangenheit, in der sie gegen andere Länder und andere Völker Krieg geführt, gemordet, gebrandschatzt und geraubt haben und dann Mord, Brand und Raub am eigenen Leibe erfahren mussten, ist die Nachkriegszeit durch die Ablehnung von Krieg gekennzeichnet.

Ein ernster Mann mit dichten, schwarzen kurzen Haaren und Brille, der ein Blatt Papier in der Hand hält und ein kurzärmliges weißes Hemd mit Blumenverzierungen trägt, spricht in ein Mikro.

Ei-Ichi Kido bei der Kundgebung zum Antikriegstag am 31.8.2019 auf dem Alter Markt, Köln. Foto: Klaus Reinhard Müller (CC BY-SA 4.0)

Das ist ein Zitat aus dem Buch des japanischen Schriftstellers Makoto Oda (1932-2007). Als kleiner Junge sah Oda die Teilnehmer der HJ-Delegation [Hitler-Jugend – d. Red.], die Japan besuchte, neidisch an. Das Großjapanische Kaiserreich und das NS-Deutschland unterzeichneten im November 1936 den Antikominternpakt und im September 1940 zusammen mit dem faschistischen Italien den Drei-Mächte-Pakt, die sogenannte Achse Berlin-Rom-Tokio. Groß und schlank, hellhäutig, blond, diszipliniert in Uniform. Für viele Japaner waren die Hitler-Jungen unglaublich schick und blendend. Aber der Krieg, den Deutschland und Japan begonnen hatten, kehrte zu uns zurück. Das symbolische Kriegserlebnis Odas war der große US-Luftangriff auf Osaka am 14. August 1945, keine 24 Stunden, bevor [der japanische Kaiser] Hirohito in seiner Radioansprache die Anerkennung der amerikanisch-britisch-chinesischen Potsdamer Erklärung vom 26. Juli 1945 [über die Bedingungen für die Kapitulation Japans] ankündigte.

Nach dem Krieg studierte Oda als Fulbright-Stipendiat an der Harvard-Universität. In dieser Zeit wagte er eine Ein-Dollar-pro-Tag-Weltreise. Sein Reisebericht „Ich will mir alles anschauen“, der 1961 erschien, begeisterte vor allem seine und die jüngere Generation und wurde ein Bestseller. 1965 gründete er die League of Citizens‘ Movements for Peace in Vietnam (Beheiren) mit. Von 1985 bis 1987 hielt sich Oda als DAAD-Stipendiat in Westberlin auf. Dort fiel ihm das ähnliche Friedensbewusstsein der Deutschen und der Japaner auf, wie ich ihn am Anfang der Rede zitiert habe. Von Oda angeregt, wurde am 5. Januar 1989 in Berlin das „Deutsch-Japanische Friedensforum“ (DJF) gegründet.

Ein dunkelblauer VW-Transporter mit einer Comic-Figur, die einen Schüler darstellt.

„Frieden schaffen ohne Waffen!“ – Bulli der DFG-VK am 31.8.2019 auf dem Alter Markt, Köln. Foto: Klaus Reinhard Müller (CC BY-SA 4.0)

Das DJF beschäftigt sich vor allem mit zwei Projekten. Das eine sind die „Hiroshima-Nagasaki Peace Study Courses“, die seit dem Sommersemester 2004 bei der Beuth Hochschule für Technik Berlin (früher TFH Berlin) angeboten werden. Das andere ist der „Internationale Jugendfreiwilligendienst in Japan“. Das DJF entsendet in Kooperation mit den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten (ijgd) seit September 2007 jedes Jahr etwa 20 junge deutsche Freiwillige an Seniorenheime, Kindergärten und Behinderteneinrichtungen in Japan. Diese Tätigkeiten kann man eine Form des „aktiven Pazifismus“ nennen.

Der „aktive Pazifismus“, wie der japanische Ministerpräsident Shinzô Abe ihn zu Hause propagiert, ist etwas völlig Anderes. Er nennt sich selber einen rechten Militaristen. Seit er 2012 zum zweiten Mal Regierungschef geworden ist, erreichen die japanischen Militärausgaben jedes Jahr einen neuen Rekord. 2015 hat Abe ein Gesetz durchgesetzt, womit Japan jederzeit und weltweit an der Seite der USA militärisch einsatzbereit sein kann. Unter Abe ist Japan auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen weit nach hinten gerückt, und zwar von Platz 11 (2011) auf Platz 67. Der fanatische Nationalismus, der Geschichtsrevisionismus und die Militarisierung herrschen über den Inselstaat.

2020 sollen die olympischen Sommerspiele in Tokio stattfinden. Die zu dieser Zeit brennende Hitze, den Schmiergeldskandal und die Gefahren radioaktiver Strahlung beiseite lassend, möchte ich darauf hinweisen, dass die Abe-Regierung die Absicht hat, das Fest des Friedens zur totalen Mobilisierung für ihre Kriegsvorbereitungspolitik zu missbrauchen. Die StudentInnen sollen lange Zeit und kostenlos „freiwillig“ arbeiten. Die Universitäten sollen deshalb die Prüfungszeiträume verschieben. Während der Olympiade solle man sich mit Onlineshopping zurückhalten, um Internet-Störungen zu vermeiden.

Wenn Sie diese Geschichte mitbekommen haben, assoziieren Sie sicherlich die Olympischen Sommerspiele 1936. Mit der Tatsache, dass es in Japan heute nicht so schlimm wie in Deutschland damals ist, können Sie sich nicht beruhigen. Adolf Hitler bewunderte den verbündeten Staat im Fernen Osten:

Wir haben eben überhaupt das Unglück, eine falsche Religion zu besitzen. Warum haben wir nicht die der Japaner, die das Opfer für das Vaterland als das Höchste ansieht?

So ein durch und durch militarisiertes Japan ist für Abe & Co. das Ideal. Außerdem gibt es bei den Mitgliedern und den Anhängern der Regierungspartei LDP jede Menge Nazi-Sympathisanten.

An den olympischen Sommerspielen in Tokio teilzunehmen bedeutet, den Irrweg Japans in den Faschismus und Krieg zu begünstigen. Seit einigen Wochen ist der Aufruf „No Abe!“ im ostasiatischen Raum deutlich geworden, denn Abe stört als Geschichtsfälscher und Militarist Versöhnung und Frieden in dieser Region. Anlässlich dieses Antikriegstages möchte ich die BürgerInnen in Deutschland und in aller Welt bitten, sich mit diesem Aufruf zu solidarisieren.


Prof. Dr. Ei-Ichi Kido ist Politikwissenschaftler und arbeitet an den Universitäten Osaka und Bochum. Er ist in der japanischen Friedensbewegung aktiv und Mitglied des Deutsch-Japanisches Friedensforum e. V. Am 10. August 2019 hatte er auf der Kölner Feier zum Gedenken an die Opfer der Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki eine Rede gehalten.

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