Peter Bürger: „Pazifismus ist Liebe zum Leben: Fundamentalopposition gegen das Programm Krieg“

Wir dokumentieren hier die Rede des Theologen und freien Publizisten Peter Bürger beim Ostermarsch am 30.03.2024 in Köln:


Der Redebeitrag wird frei gehalten und je nach Zeitablauf stark verkürzt; der nachfolgende Text enthält die Inhalte, die mitgeteilt werden sollen.

Ein Mann mit brauner Schlägermütze und schwarzer Lederjacke spricht in ein Mikro

Peter Bürger, beim Ostermarsch Köln, Hans-Böckler-Platz, 30.3.2024. Foto: Stefanie Intveen

Liebe Mitmenschen,
liebe Freundinnen und Freunde in der Friedensbewegung:

Schalom-Salaam – diesen Gruß wider den Hass habt vor allem ihr Kölner seit letztem Oktober ins Land NRW geschickt. Als Düsseldorfer rede ich heute auch deshalb gerne im geliebten Köln, weil hier ein Sozialdemokrat lebt, der zwar kein Pazifist ist, aber uns Pazifisten mit Respekt begegnet und vor allem einen klaren Verstand behalten hat. Rolf Mützenich ist vermutlich nicht religiös, aber ich bete manchmal für ihn und die ihm Nahestehenden, dass sie bei der öffentlichen Hetze der Kriegsgläubigen trotz alledem den Kölner Humor ins Spiel bringen können.

An meinem Wohnort Düsseldorf haben wir hingegen die mächtige Zentrale der Totmach-Industrie, den Rheinmetall-Konzern, und passend zu den in die Höhe  schnellenden Rheinmetall-Todesaktien die oberste Großmutter der deutsch-katholischen Kriegspredigt, Frau Agnes Strack-Zimmermann. Sie malt sich ihre Welt, wie es der Waffenindustrie gefällt … und dergleichen hat noch nie in der Geschichte etwas Gutes bedeutet.

(1) Ein Wort zum Kirchentum in deutschen Landen

Da ich hier ausdrücklich als Christ eingeladen bin, erlaubt mir ein Wort zum Kirchentum in deutschen Landen. Bis zu 13.000 Euro Monatsgehalt bekommen die Bischofspersonen. Die Kirchenkasse nimmt das aus staatlichen Dauerzahlungen. Ich weiß nicht, wie man solches zusammenreimt mit Jesus von Nazareth, der für mich allein Wegweiser ist. In zwei Weltkriegen haben die beiden deutschen Großkirchen die Kriegspolitik der deutschen Regierungen folgsam gestützt. Daran hat sich bis heute nicht wirklich etwas geändert. Ich bleibe nur deshalb römisch-katholisch, weil es die Weltkirche und in ihr eine globale Bewegung zugunsten intelligenter Gewaltfreiheit gibt. Von hier aus rufe ich Richtung Rom: „Papa Francesco, Bruder Papst! Sei bedankt dafür, dass Du dich der irrationalen Militärreligion der Mächtigen nicht anbiederst, dass Dir die hunderttausendfachen – völlig sinnlosen – Tode junger Ukrainer und  Russen nicht gleichgültig sind und dass Du den gegenwärtigen Weltkrieg auf Raten beim Namen nennst!“

Beantwortet das Böse nicht mit Bösem und noch Böserem. Diese Weisung aus Galiläa ist die einzige Überlebenschance unserer Gattung. Sonst werden wir am Ende alle Ungeheuer mit der neuen Atomwaffen-Generation („more useable“) ausgerottet haben und den Rest der menschlichen Spezies gleich mit. Eine wirklich totale Lösung aller Probleme.

(2) Sind wir als Friedensbewegung parteiisch?

Wir können als Menschen, als Friedensbewegung auch hier in Köln den zahllosen Schauplätzen der Militärgewalt auf dem Globus nicht gerecht werden, ob in der Ukraine, in Gaza, im Jemen, im Sudan, im Kongo … Die Medien beleuchten nur, was jeweils in die nationale Agenda passt. Das Schicksal von Millionen Menschen, die in Afrika vor einer Hungerskatastrophe stehen, ist bisweilen nicht einmal einen Nebensatz wert. Wir sollten zugeben, dass wir in dieser schrägen Optik mit drinstecken.

Es herrscht die „regelbasierte Weltunordnung“ eines aggressiven Wirtschaftssystems, in der wenige hundert Individuen mehr besitzen als die ärmere Hälfte der ganzen  Weltbevölkerung und das – wie der Papst richtig anmerkt – über Leichen geht.  Investiert wird in die profitablen Kriegsindustrien. Für Gewaltprävention und die Rettung von Menschenleben bleiben de facto nur „Portokassen“ übrig. Wo, bitte schön, sollten unter solchen Vorzeichen die guten „moralischen Akteure“ anzutreffen sein? In Moskau ganz sicher nicht, in Washington bzw. in der NATO ebenso wenig.

Pazifismus löst sich selbst auf, sobald er sich gemein macht mit irgendeiner Kriegspartei. Wer klar sieht, weiß, dass es weder „menschenfreundliche Kriege“ noch „gute Imperien oder Militärkomplexe“ gibt. Wir brauchen keine Welt mit bi- oder multipolaren Machtzentren, sondern ein Weltgefüge ganz ohne imperiale Machtdiktate.

Doch die Friedensbewegung ist durchaus parteiisch – für alle Verdammten dieser Erde: Wir stehen stets unterschiedslos an der Seite der Opfer, ob in Israel oder Gaza, in der Ukraine oder Russland, ob in prowestlichen oder anderen Lagern, ob in zivilen Haushalten oder auf Seiten der Soldaten, die von den Herrschenden auf das Schlachtfeld geschickt werden … (Beim hehren Wort „Mitgefühl“ sollten wir allerdings vorsichtig sein, wenn es um zigtausende oder Millionen Tote geht.)

Solange es auf Ebene der Vereinten Nationen keine entsprechende neutrale Einrichtung für den ganzen Erdkreis gibt, bleibt das Opfergedächtnis der weltweiten Friedensbewegung anvertraut. Denn die Imperien löschen ihre Massenmorde immer schnell aus allen Geschichtsbüchern: Die hiesige Regierung will z.B. nicht eingestehen, dass der deutsche „rassenbiologische Vernichtungskrieg“ gegen die Sowjetunion ab 1941 ein planmäßiger Völkermord war (sogar der größte der gesamten Geschichte). – Millionen Menschen mussten zu Beginn dieses Jahrhunderts im sogenannten „Antiterrorkrieg“ des christlich-fundamentalistischen US-Präsidenten George Bush jun. ihr Leben lassen. Die deutschen Kommentatoren sagten 2023 bezogen auf den mit Lügen ins Werk gesetzten Angriff auf den Irak, das sei ein strategischer Fehler gewesen, aber sie verschwiegen, dass er – auch unabhängig von der Folterkammern – ein unvorstellbares Verbrechen war. So rassistisch ist das herrschende Denken. Das Leben von Millionen Arabern oder
Muslimen zählt einfach nicht im westlichen Lager.

(3) „Kriegstüchtigkeit“ gemäß Pistolenschuss:
Der deutsche Militarismus ist wieder öffentliche Doktrin

Vor dreieinhalb Jahrzehnten waren wir alle wie Träumende, zuversichtlich mit Blick auf das Kommende. Jede Dekade brachte dann Desillusionierungen und die bange Frage: Ob es noch schlimmer kommt? Es kam noch schlimmer. Gegenwärtig sind wir Zeugen einer rasanten Renaissance des deutschen Militarismus, deren Tempo unser Fassungsvermögen übersteigt. Bis ins Kinderzimmer hinein reicht die Waffenpropaganda des Fernsehens. Bürgerrechte und Gewissen von Pazifisten sind nicht mehr geschützt. Wir werden vom Staat gezwungen, mit Gebühren die Kriegsmedien mitzufinanzieren. Ich bedauere, noch bis vor kurzem das Gefüge öffentlich-rechtlicher Sender verteidigt zu haben.

Ludwig Quidde (1858-1941), Erzdemokrat und Urgestein der bürgerlichen Friedensbewegung, hat schon 1893 den deutsch-preußischen Militarismus scharf analysiert: „Fortschrittliche Liberale“ schwimmen stets mit und finden sich unversehens in autoritären Verhältnissen wieder. Für das Militär kann jederzeit über Nacht jede geforderte Geldmenge locker gemacht werden. Doch Schulen, die Kinder innerlich stark machen könnten, Gesundheitswesen und alle sozialen Belange der Gesellschaft liegen darnieder, gehen leer aus.

Das ist noch immer der unüberbietbare Aberwitz: Alles, was eine Gesellschaft nachweislich widerstandsfähig macht gegen Militärdrohungen und  Besatzungsversuche, wird auf dem Altar der Rüstungsindustrie geopfert. Die Kinder lernen nicht mehr lesen, um später desto besser als Kanonenfutter dienen zu können. Doch für jene Produktionen der Todesindustrie, die die Kriegsgefahr vergrößern und im Ernstfall überhaupt keine Menschenleben schützen können, werden Sonderbudgets – mal eben „hundert Milliarden“ – bereitgestellt. Die  Freiheitspredigten gelten schließlich nur denen, die bei alldem schon im Voraus ihren Gehorsam erklären.

(4) Die sehr deutsche Kampagne
gegen „Lumpenpazifismus“ und Antimilitarismus –
wie ehedem auch judenfeindlich

Auferstanden ist in deutschen Landen die Hetze gegen Pazifisten und Antimilitaristen, allesamt „gefallene Engel aus der Hölle“. Beim letzten Atombombenprotest in Büchel hat mir der Kölner Pfarrer Matthias Engelke eine Plakette „Ich bin ein Lumpenpazifist“ geschenkt. Ich wünschte, noch mehr Leute könnten endlich verstehen, dass dies ein Ehrenname sondergleichen ist. In zwei Weltkriegen waren die Friedensbewegten in Deutschland eine Minderheit und die einzig Klarsichtigen. Jeder möge gerne dazu gehören und kundtun: „Ich bin ein Lumpenpazifist!“ Die frühesten und bedeutendsten Friedensarbeiter seit dem 19. Jahrhundert kamen aus jüdischen Familien. Die Geschichte des deutschen Pazifismus – das sahen die Nazis richtig – ist ohne Juden gar nicht vorstellbar. Und nun gibt es dieser Tage eine Neuauflage der antipazifis-
tischen Judenfeindschaft. Unsere jüdischen Geschwister aus Initiativen für einen gerechten Frieden in Nahost werden verbal mit Dreck beworfen, oder man sperrt ihnen kurzerhand das Bankkonto.

Ein absurder Kasus betrifft aktuell Moshe Zuckermann, Sohn von Auschwitz-Überlebenden und ein warmherziger linker Humanist. Er erinnert als Säkularer an das Erbarmen (rachamim), ohne welches es keine abrahamische Religion geben kann. Er wäscht als Israeli jenen Pseudolinken den Kopf, die die fundamentalistische, antiemanzipatorische Hamas nicht für ein Mord- und Vergewaltigungskommando, sondern für eine Organisation von Befreiungskämpfern halten. Aber er sagt gleichzeitig auch wahrheitsgemäß: Die israelische Regierung besteht mehrheitlich aus Rechtsradikalen und ist verantwortlich für den militärischen Massenmord an unseren Menschengeschwistern in Gaza. Jetzt ließ die deutsche Regierung Moshe Zuckermann bescheinigen, er sei ein Antisemit! Juden, die dem deutschen Staat nicht gehorchen, bekommen kurzerhand Redeverbot. Basta.

(5) Friedensbewegung ist nicht „nationale Interessenssicherung“ –
sondern ein Internationalismus, der das Leben liebt

Das Ganze der Kriegsapparatur ist das Falsche! Deshalb kann als Friedensbewegung nicht jene selektive Militär- und Kriegskritik gelten, die der „nationalen Interessenssicherung“ das Wort redet. Die entsprechenden „konservativen“ oder auch rechtsextremen falschen „Friedensfreunde“ wenden sich gar nicht prinzipiell gegen Hochrüstung, Waffenmodernisierung, Blockdenken und militärische Stärke. Wenn aus ihrer Sicht Militärinterventionen den nationalen deutschen Wirtschafts- und Machtinteressen zuarbeiten, haben sie im Nu gegen Waffengewalt nichts mehr einzuwenden.

Natürlich schadet es den Menschen immer auch im Inland, wenn Regierungen kriegsertüchtigend agieren und den Vorgaben imperialer Zentren folgen. Das wird keiner gutheißen. Doch Pazifismus bedeutet ein prinzipielles „Nein“ gegen den Militärkomplex. Er kann glaubwürdig nur sein als ein Internationalismus, der das Leben und die Menschen liebt – ohne hierbei die Grenzen von irgendwelchen Staatsgebilden vor Augen zu haben.

Vor wenigen Tagen hat ein „Linksliberaler“ wie Harald Welzer im taz-Gespräch (20.3.2024) herausposaunt, es seien „Begriffe wie ‚die Menschheit‘ oder ‚die menschliche Gemeinschaft‘ totaler Quatsch“. Falscher geht es nicht. Die „Menschheit als Spezies hat das nahe ökologische Drama verursacht (zugegeben: anfangs nur ein bestimmter Kulturkreis bzw. Wirtschaftskomplex). An ihrer Befähigung oder Nichtbefähigung zu einem gemeinschaftlichen – vernetzten – Handeln der ganzen Gattung entscheidet sich die Zukunft.

(6) „No peace – no future“:
Klima-Aktivismus mit fundamentaler Kriegskritik ist keine Quacksalberei

Unermessliche Leiden und neue Formen der Barbarei sind zu prognostizieren unter dem Vorzeichen der Erderwärmung, die schon jetzt drastische Verwerfungen bewirkt. Können wir sie in Solidarität mit den nach uns Kommenden jetzt noch mindern? Das entscheidet sich in erster Linie an der Frage, ob die Militärdoktrin der patriarchalischen Zivilisation beibehalten wird. Seit den 1980er Jahren – zuletzt 2021 – ist die Frage „Ökologische Transformation oder Investitionen in die Militärmaschinerie?“ stets aufs Neue zugunsten der Kriegsindustrien entschieden worden. Durch die weithin grün-bürgerliche Prägung konnte bislang in der  Klimabewegung der Zusammenhang „Krieg – Klima“ gar nicht sichtbar werden. (Immerhin, in Wuppertal rufen die Jungen schon: „In der Rüstung sind sie fix, für die Umwelt tun sie nix!“).

Wir müssen uns angesichts des Ernstfalls entscheiden, „entweder oder“: Budgets für den Krieg oder Budgets für die Lösung der ökologischen Frage, Beherrschungswissenschaften oder Wissenschaften im Dienste einer menschenwürdigen Zukunft, Totmach-Konzerne oder Lebensindustrien … Rüstungsproduktion und Militärkomplexe sind schon in sogenannten Friedenszeiten Spitzenreiter bei der Freisetzung von Treibhausgasen. Im Kriegsfall kennt der Angriff auf unsere ökologischen Lebensgrundlagen dann keine Grenzen mehr – ganz zu schweigen vom Biozid beim Einsatz der jetzt entwickelten neuen Generation der Massenvernichtungswaffen und von den totalitären Potenzen des KI-Krieges …

Viel, unendlich viel schwerwiegender als all dies ist aber der Umstand, dass die monströse Remilitarisierung der gesamten Weltpolitik das Gegen einander arbeiten zementiert. Eine Lösung der ökologischen Frage ist nur denkbar in einem dialogischen, gleichberechtigten und kooperativen Verbundgefüge der ganzen Menschenwelt, das unter dem Vorzeichen einer neuen Kultur der Gewaltfreiheit die Schicksalsgemeinschaft der ganzen Gattung zu Bewusstsein bringt und gute Lebensgeister jenseits der ultimativ aggressiven Ökonomie freisetzt.

Ein Umweltengagement, das diese Zusammenhänge ausblendet, wäre am Ende bloß Zeitverschwendung. Ermutigend ausgedrückt: Klima-Aktivismus mit fundamentaler Kriegskritik ist keine Quacksalberei!

(7) Wider das Imperium der Traurigkeit: Verweigern und den Krieg verslästern…

Die militärische Heilslehre ist ein Fall für den Sektenbeauftragten und würde im Spezialfall der neu aufgerüsteten Atomwaffenreligion ganz sicher zur Überweisung in eine psychiatrische Therapie führen, wenn wirklich unabhängige Sachverständige ins Spiel kämen. Faktum ist, dass der Militärkomplex seine – vorgeblichen – Heilsversprechen nie einlöst. Trotzdem vermag er es, sich im öffentlichen Raum erfolgreich wie ein rationales Projekt zu verkaufen. Doch auch dann, wenn der allerletzte Medienkanal die „neuen Kleider“ des Kaisers gerühmt hat, bleibt es dabei: Der Kaiser ist nackt!

Ich meine, vieles hängt daran, ob es uns als Friedensbewegung gelingt, jetzt den „Krieg“ zu verlästern und hierbei womöglich auch lustvolle Momente freizusetzen. (Mit Depression – ohne Musik und Tanz – ist noch nie ein Widerstand gegen Todesapparaturen gelungen.) Sodann sollten wir alle Jungen daran erinnern, dass Militarisierung zu allen Zeiten die größte Attacke auf freiheitliche Verhältnisse ist und Antimilitarismus somit der wichtigste Schauplatz zur Verteidigung von Demokratie bleibt.

Schließlich wird eine erfolgreiche Ermutigung zur Militärkraftzersetzung und Nichtzusammenarbeit in den Mittelpunkt rücken: Die einzigen Helden, die wir kennen, das sind: die Whistleblower (wie Julian Assange), die Verbrechen aufdecken; die Hafenarbeiter in Italien, die Massenmordinstrumente nicht verladen, … und die Kriegsdienstverweigerer und Kriegsdienstverweigerinnen allüberall, allüberall …

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