Atomwaffenabrüstung: Einmischung unbedingt erforderlich!

Sicherheitspersonal verhindert auf Pressekonferenz in Helsinki Fragen an Putin und Trump zum Atomwaffenverbotsvertrag. US-Journalist Sam Husseini über Stunden von finnischer Polizei gefangen gehalten. Deutsche Presse berichtet über den Vorfall gar nicht oder falsch. Nicht gestellte Fragen an die Präsidenten zur Atomwaffenabrüstung. Erfolgreiche Go-In-Aktion in Büchel mit 20 Leuten.

Von Stefanie Intveen. Die weltweit beachtete Pressekonferenz des US-Präsidenten Donald Trump und des russischen Präsidenten Wladimir Putin am 16. Juli 2018 in Helsinki brachte keine Stellungnahmen der beiden Staatschefs zur Frage der Atomwaffenabrüstung hervor. 

Präsident Putin erklärte gemäß einer nicht offiziellen Mitschrift der Konferenz, Russland sei an einer abrüstungspolitischen, militärischen und technischen Zusammenarbeit mit den USA interessiert; es habe der US-amerikanischen Seite Vorschläge zur Sicherung des strategischen Gleichgewichts unterbreitet. Russland halte Gespräche über die Verlängerung des Strategic Offensive Arms Limitation Treaty (START), das US-Raketenabwehrsystem, den Intermediate Range Nuclear Forces-Vertrag (INF) und die Verhinderung einer Stationierung von Waffen im Weltraum für notwendig. Präsident Trump bekräftigte in seinem Vortrag das Interesse an einer Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen im Hinblick auf Iran und Nordkorea.

Keiner der beiden Präsidenten äußerte sich zum Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen, welcher am 7. Juli 2017 von 122 Staaten beschlossen wurde. 59 Staaten haben ihn seitdem nach Angaben der Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen ICAN unterzeichnet und elf – darunter der Vatikan, Österreich, Mexiko und Thailand – ratifiziert. 

Die Pressevertreter*innen stellten keine Frage zu den Atomwaffenarsenalen der beiden militärischen Großmächte, obwohl sämtliche Fachleute auf die Gefährlichkeit der aktuellen politisch-militärischen Lage hinweisen. Die Atomwissenschaftler*innen des Bulletin of Atomic Scientist haben Anfang 2018 die „Weltuntergangsuhr“ auf „Zwei Minuten vor Mitternacht“ gestellt – wie zuletzt 1953 zur Zeit des atomaren Wettrüstens im Kalten Krieg.

Sam Husseini, langjähriger Kommunikationsdirektor des in Washington DC ansässigen Institute of Public Accuracy, war als Journalist für die Pressekonferenz akkreditiert; er plante nach eigenem Bekunden, den beiden Präsidenten folgende Fragen zu stellen (Übersetzung d. V.):

Ihre Regierungen haben sich im Atomwaffensperrvertrag [vor fünfzig Jahren] dazu verpflichtet, ernsthafte Anstrengungen zur Abschaffung der Atomwaffen zu unternehmen. (…) Präsident Trump, Sie haben gesagt, Sie wollten die Atomwaffen gerne loswerden, aber Ihre Regierung gibt über eine Billion US-Dollar aus, um das Arsenal zu „modernisieren“. (…) Warum erfüllen Sie beide Ihre Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag nicht? Warum blockieren Sie den Atomwaffenverbotsvertrag? Und eine Frage an Präsident Trump: Ihre Regierung hat es der israelischen Regierung gleichgetan und sich geweigert, die Existenz des geheimen israelischen Atomwaffenarsenals anzuerkennen. Werden Sie dieser politischen Linie ein Ende setzen und es hier und jetzt anerkennen?

Husseini konnte die Fragen nicht stellen, denn Sicherheitspersonal brachte ihn gewaltsam aus dem Raum, bevor die Pressekonferenz begann, wie in mehreren Videos zu sehen ist. Anschließend hielt ihn offenbar die finnische Polizei mehrere Stunden in Gewahrsam, wie er in dem US-Journalisten Edward Szall in einem Interview noch in der Nacht seiner Freilassung und am Folgetag auf Twitter berichtete. 

Bildschirmfoto aus einem Video von RT Deutsch vom 17.7.2018: „Kurz vor Auftritt von Putin und Trump: Sicherheitsdienst entfernt einen Mann aus dem Saal“ Quelle: https://deutsch.rt.com/kurzclips/73078-kurz-vor-auftritt-von-putin/

Den Anlass für die Festnahme soll ein weißes DIN A4-Papier mit der handschriftlichen Aufschrift „Nuclear Weapons Ban Treaty“ (Atomwaffenverbotsvertrag) geboten haben. Husseini wollte, wie er in dem Interview erklärte, damit die Aufmerksamkeit der Präsidenten auf sich ziehen, um eine Chance zu erhalten, seine Fragen zu stellen, da er kein großes Medienhaus vertrat und seine Chancen, zum Zug zu kommen, als gering einschätzte. 

Die Szene wurde von den dicht gedrängt stehenden Journalist*innen mit ihren Smartphones gefilmt, wie auf einem Video von RT Deutsch gut zu erkennen ist. Niemand setzte sich jedoch für Husseini ein oder protestierte gegen die gewaltsame Entfernung des Kollegen.

Die deutschen Medien berichten bisher in ihren Online-Auftritten nicht oder falsch über diesen Vorfall. Aus dem Journalisten mit einem DIN A4-Blatt wird ein „Aktivist“ mit einem „Protest-Schild“ (Huffington Post Online am 16.7.2018) oder ein „Protestler“ mit einem „Plakat“ oder „Schild“ (Stern Online am 16.7.2018).

Auf die Art und Weise kann man aus einem akkreditierten Journalisten jemanden machen, der kein Recht auf die Teilnahme an der Pressekonferenz hat, und muss sich mit dem sehr nahe liegenden Verdacht, dass hier vor aller Augen eine schwerwiegende Verletzung der Pressefreiheit und Einschüchterung von Journalisten stattgefunden haben könnte, nicht mehr auseinandersetzen.

Auch das von Husseini gewünschte Gesprächsthema – die globale Abrüstung von Atomwaffen – kann so aus der öffentlichen Diskussion herausgehalten werden. Anstatt Pressefreiheit und Atomwaffenabrüstung anlässlich des Vorfalls in Helsinki zu diskutieren, scheinen die Leitmedien den engen Denkkorridor des politischen Establishments widerstandslos hinzunehmen und damit die Pressefreiheit dadurch auszuhöhlen, dass sie sie nicht nutzen.

In Deutschland hatte der Südwestdeutsche Rundfunk am 15. Juli 2018 notiert:

In den Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel in der Eifel sind am Sonntagvormittag 18 Menschen eingedrungen, offenbar Friedensaktivisten. Die Männern und Frauen hätten an mehreren Stellen den Zaun durchschnitten und seien in den Sicherheitsbereich gelangt, teilte die Polizei mit. Die Gruppe sei von Soldaten festgesetzt worden. In Büchel im Kreis Cochem-Zell sollen nach unbestätigten Informationen bis zu 20 US-Atomsprengköpfe lagern, die mutmaßlich letzten in Deutschland.

Es handelte sich nach Angaben der Kampagne Büchel ist überall – Atomwaffenfrei jetzt! um 11 Frauen und 9 Männer (7 aus den USA, 6 aus der BRD, 4 aus Holland, 1 aus Großbritannien) im Alter von 18 bis 75 Jahren. Während eine Gruppe bis zur Landebahn vordrang, kam eine weitere unbemerkt in den Bereich mit atomwaffenfähigen Hangars, um die ein neuer Hochsicherheitszaun gebaut wurde. „Reclaim the land“ war das Ziel: das Gebiet zurückerobern, auf dem illegal Atomwaffen stationiert sind.

Der niederländische Aktivist Frits ter Kuile sagte:

Meine Motivation sind das Gebot, seine „Feinde“ zu lieben, und die Prinzipien der Nürnberger Prozesse, die besagen, dass jeder verantwortlich für die Verbrechen ist, die seine Regierung verübt. Wir haben die Pflicht, Zäune, die atomare Massenvernichtung[swaffen] schützen, abzubauen und das Land für die Menschen und ihre echten Bedürfnisse zurückzufordern.

Die in Helsinki gezeigte Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Presse, den beiden Präsidenten Putin und Trump die zentralen Fragen zur globalen Sicherheit und Zusammenarbeit zu stellen, belegen erneut, wie wichtig auch solche „Go-In-Aktionen“ von Friedensgruppen sind. Wenn Politik und Medien allein nicht weiterkommen, müssen sich Bürger*innen einmischen. Die Welt ist zu kostbar, um ihre Bewahrung den Machteliten zu überlassen.

Weitere Informationen unter www.buechel-atombombenfrei.de.

Um zwei Links ergänzte Fassung vom 20.7.2018.

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